Herr des Lichts
seinen Tabaksbeutel und rollte sich eine Zigarette. Dabei sprach er weiter. Seine dunklen, geschmeidigen Finger bewegten sich, als ob sie auf einem Musikinstrument spielten. Ratri beobachtete sie und bewunderte, wie schon so oft, ihre Gewandtheit.
»Ich würde sagen, wir sollten nicht länger als noch eine Woche oder zehn Tage hier bleiben. Bis dahin müssen wir ihn von seinen Streifzügen abgebracht haben.«
Sie nickte. »Und wohin gehen wir?«
»Vielleicht in eins der kleineren Fürstentümer im Süden, wo wir uns ungestört bewegen können.«
Er zündete die Zigarette an, sog den Rauch ein.
»Ich habe eine bessere Idee«, sagte sie. »Du mußt wissen, daß ich unter einem irdischen Namen Herrin über den Palast des Kama in Khaipur bin.«
»Herrin im Hurenhaus, Göttin?«
Sie runzelte die Stirn. »So nennt ihn das gemeine Volk meistens, aber ich möchte nicht, daß du mich im gleichen Atemzug damit als >Göttin< anredest - es erinnert mich an einen uralten Scherz. Der Palast ist ein Ort der Ruhe, der Freude und der Heiligkeit, und er ist eine gute Einnahmequelle. Dort, glaube ich, wäre unser Schützling gut aufgehoben. Und während seine Genesung Fortschritte macht, können wir unsere nächsten Schritte planen.«
Yama klatschte sich auf die Schenkel. »Ja! Ja! Wer wird den Buddha in einem Hurenhaus suchen? Sehr gut! Ausgezeichnet!
Auf nach Khaipur, teuerste Göttin - nach Khaipur in den Palast der Liebe!«
Sie erhob sich und stampfte mit ihren Sandalen auf die Steinplatten. »Ich wünsche nicht, daß du in dieser Weise von meinem Haus sprichst!«
Er schlug die Augen nieder. Es kostete ihn Mühe, aber dann verschwand auch das Lächeln von seinem Gesicht. Er stand auf und verneigte sich vor ihr: »Ich bitte um Vergebung, teure Ratri, aber deine Offenbarung kam so plötzlich für mich.« Er hustete, verschluckte sich und blickte zur Seite. Als er sie wieder ansah, waren sein Ernst und seine Förmlichkeit vollends zurückgekehrt. Er fuhr fort: ».. daß ich durch das scheinbare Mißverhältnis verblüfft wurde. Nun sehe ich jedoch, wieviel Weisheit darin steckt. Der Palast ist eine geradezu ideale Tarnung, und er ist gewiß nicht nur die Quelle deines Reichtums, sondern auch eine der geheimen Informationen aus den Kreisen der Händler, Krieger und Priester. Er ist ein unerläßlicher Teil des öffentlichen Lebens. Er verschafft dir Rang und Stimme in Verwaltungsangelegenheiten. Ein Gott zu sein, gehört zu den ältesten Berufen der Welt. Es ist daher nur recht und billig, daß wir uns nun, nachdem wir Ausgestoßene sind, im Bereich einer anderen altehrwürdigen Tradition ansiedeln. Ich beglückwünsche dich. Ich bin deiner Weisheit und deiner Voraussicht dankbar. Ich wollte dein ebenso wohltätiges wie konspiratives Werk keineswegs lächerlich machen. Im Gegenteil, ich sehe unserem Besuch im Palast mit Freude entgegen.«
Sie lächelte und setzte sich wieder. »Ich nehme deine gutgeölte Entschuldigung an, o Sohn der Schlange. Es wäre ohnehin eine zu große Anstrengung für mich, dir böse zu sein. Bitte schenk mir noch etwas Tee nach.«
Sie lehnten sich zurück - Ratri, die ihren Tee trank, und Yama, der rauchte. In der Ferne zog eine Sturmfront einen Vorhang über den halben Himmel. Sie selbst saßen noch in der Sonne, aber schon machte sich eine kühle Brise in der Vorhalle bemerkbar.
»Hast du den Ring gesehen, den Ring aus Eisen, den er trägt?« fragte Ratri. Sie hatte sich ein neues Stück Konfekt genommen.
»Ja.«
»Weißt du, woher er ihn hat?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Aber ich finde, wir sollten feststellen, woher er stammt.«
»Ganz richtig.«
»Wie können wir es anstellen?«
»Ich habe Tak schon aufgetragen, sich darum zu kümmern; er kennt sich besser als wir im Wald aus. Auch im Augenblick folgt er Sam.« Ratri nickte. »Gut«, sagte sie.
»Ich habe gehört«, sagte Yama, »daß die Götter noch immer gelegentlich die besseren Paläste des Kama im Lande besuchen, im allgemeinen verkleidet, aber zuweilen unter Entfaltung ihrer ganzen göttlichen Macht. Entspricht das der Wahrheit?«
»Ja. Erst vor einem Jahr kam Indra-Herr nach Khaipur. Vor etwa drei Jahren stattete uns der falsche Krischna einen Besuch ab. Von der ganzen Himmlischen Gesellschaft hat Krischna- der-Unermüdliche die größte Bestürzung bei den Bediensteten hervorgerufen. Der Monat, den er blieb, war eine einzige Orgie. Unmengen Möbel gingen zu Bruch, und Ärzte waren Dauergäste im Palast. Beinahe den ganzen
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