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Herr des Lichts

Herr des Lichts

Titel: Herr des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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Sandalen über.
    Es kostete Zeit, sich von jenem Frieden zu erholen, der unsere Fassungskraft übersteigt. Sam schlief. Und in seinem Schlaf träumte er. Und in seinem Traum schrie er auf und schluchzte er. Er hatte keinen Appetit; aber Yama hatte einen Körper für ihn ausgewählt, der kräftig und kerngesund war, einen Körper, der die psychosomatische Verwandlung, den Rückfall aus dem Göttlichen zu überstehen vermochte.
    Stundenlang konnte Sam ohne jede Bewegung dasitzen und einen Kieselstein, ein Samenkorn oder ein Blatt anstarren. Und wenn er das tat, konnte niemand ihn ablenken.
    Yama sah darin eine Gefahr, und er sprach mit Ratri und Tak darüber. »Es ist nicht gut, daß er sich nun in dieser Weise vor der Welt zurückzieht«, sagte er. »Ich habe mit ihm gesprochen, aber es ist, als ob man in den Wind redete. Er kann nicht wiedergewinnen, was er hinter sich gelassen hat. Der Versuch allein zehrt an seinen Kräften.«
    »Vielleicht verkennst du seine Bemühungen«, sagte Tak.
    »Wie meinst du das?«
    »Siehst du, wie er das Samenkorn betrachtet, das er vor sich hingelegt hat? Siehst du, wie die Haut um seine Augenwinkel sich in Fältchen legt?«
    »Ja. Aber was bedeutet das?«
    »Er blinzelt. Ist seine Sehkraft unzureichend?«
    »Nein.«
    »Warum blinzelt er dann?«
    »Um das Samenkorn genauer studieren zu können.«
    »Studieren? Das ist nicht der Pfad, den er einst gelehrt hat. Aber es ist richtig, was du sagst, er studiert wirklich das Korn. Er meditiert nicht, er versucht nicht, einen Blick ins Innere der Dinge zu tun und damit das Ich des Schauenden zu befreien. Nein.«
    »Was tut er dann?«
    »Das Umgekehrte.«
    »Das Umgekehrte?«
    »Er studiert die Dinge, überdenkt ihren Lauf, um sich auf diese Weise an sie zu binden. Er sucht in den Dingen eine Entschuldigung für sein Dasein. Er versucht sich in die Welt der Maja zurückzuversenken, in die Illusion der Welt.«
    »Ich glaube, du hast recht, Tak!« Es war Ratri, die das sagte. »Wie können wir ihm helfen bei seinen Bemühungen?«
    »Ich weiß es nicht genau, Herrin.«
    Yama nickte. Sein schwarzes Haar glänzte unter einem Sonnenstrahl auf, der durch die schmale Vorhalle fiel.
    »Du hast deinen Finger da auf etwas gelegt, für das ich blind gewesen bin«, gestand er ein. »Er ist noch nicht völlig zu uns zurückgekehrt, obwohl er keinen Körper trägt, obwohl er mit den Füßen eines Menschen geht und unsere Sprache spricht. Sein Denken kreist noch immer um Dinge jenseits unseres Horizonts.«
    »Was also können wir tun?« erneuerte Ratri ihre Frage.
    »Wir müssen ihn auf lange Spaziergänge übers Land schicken«, sagte Yama. »Müssen ihm Leckerbissen vorsetzen. Müssen sein Herz mit Poesie und Gesang rühren. Müssen ihm starke Getränke zu trinken geben - hier im Kloster haben wir keine. Müssen ihn in schimmernde Seide kleiden. Müssen ihm eine oder auch mehrere Kurtisanen herbeiholen. Müssen ihn wieder eintauchen in den Strom des Lebens. Nur so kann er von den Ketten Gottes frei werden. Dumm von mir, daß ich daran nicht schon eher gedacht habe. «
    »Jedenfalls nicht sehr gescheit, Todesgott«, sagte Tak.
    Die Flamme, die schwarz ist, loderte in Yamas Augen auf, doch dann lächelte er. »Meine Worte, die ich mehr gedankenlos gegen deine behaarte Gestalt gerichtet habe, sind Lügen gestraft worden, Kleiner. Ich entschuldige mich dafür. Wenn dein Äußeres auch das eines Affen ist, in Wahrheit bist du ein Mensch, ein Mensch mit Verstand und Auffassungsgabe dazu.«
    Tak verbeugte sich vor ihm.
    Ratri lächelte.
    »Sag uns, kluger Tak - denn vielleicht sind wir schon allzulang Götter und es fehlt uns das richtige Augenmaß -, wie sollen wir bei seiner Wiedervermenschlichung vorgehen, wie erreichen wir am ehesten unsere Ziele?«
    Tak verbeugte sich vor ihm und dann vor Ratri.
    »So, wie Yama es vorgeschlagen hat«, erklärte er. »Heute solltest du ihn auf einen Spaziergang in die Vorberge mitnehmen, Göttin. Morgen solltest du ihn bis zum Rand des Waldes führen, Yama-Herr. Den Tag darauf zeige ich ihm die Bäume und die Gräser, die Blumen und die Reben. Und wir werden sehen. Ja, wir werden sehen.«
    »So soll es geschehen«, sagte Yama, und so geschah es.
     
    In den folgenden Wochen veränderte sich Sams Einstellung zu diesen Spaziergängen von zunächst gelinder Erwartung über leichten Enthusiasmus bis zu brennender Ungeduld. Er ging nun auch ohne Begleitung aus und verbrachte immer längere Zeit draußen: anfangs mehrere Stunden am

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