Herr Tourette und ich
Stimme, die ich je gehört habe. Ich tue so, als hätte ich ein Manuskript geschrieben, und bitte sie, sich mit mir in einem Café zu treffen, damit wir über das Manuskript sprechen können. Eine Ausrede, weil ich die schönste Stimme der Welt vor mir sehen will.
Draußen regnet es, es pladdert. Ich sitze im Café und warte.
»Meine Güte, was für ein Regen«, höre ich die schönste Stimme der Welt zur Bedienung sagen.
Ich stehe auf. Wir sehen uns an und begrüßen uns. Und wir sehen uns an und begrüßen uns noch mal.
Die schönste Stimme der Welt wird menschlich, und ich werde unruhig und tue weiterhin so, als hätte ich das Manuskript schon fertig geschrieben. Sie trinkt Tee, ich trinke Kaffee. Ich habe keine Ahnung, welchen Kaffee ich trinke, und es ist mir auch egal. Ich will in ihre Wangen beißen und ihre Haare in mich reinkauen, und ihre Wimpern will ich wie glühend heiße Pommes behandeln, und ihren Körper will ich in Ahornsirup massieren. Ich finde, ihr Blick gleicht dem eines Seeadlers, sie bewegt sich wie eine Möwe und redet wie Jessica Lange.
»Brrr …« , ticse ich.
»Was hast du gesagt?«, fragt Lina.
»Nichts«, lüge ich und presse weiterhin die Finger aufeinander, bewege den kleinen Zeh auf und ab, pfeife unmotiviert entspannt. Bis ich nicht mehr kann, ich setze alles auf eine Karte, jetzt sage ich die Wahrheit, die Wahrheit, die Wahrheit:
»Ich habe etwas, das heißt Tourette …«
Ein langes Schweigen entsteht.
»Ich brauche wohl noch einen Tee«, antwortet Lina.
(2005, August) Ein Badestrand in Skåne.
Ich liege im Wasser, allein. Vielleicht fünfzig Meter vom Strand entfernt. Ich treibe ohne größere Anstrengung recht bequem vor mich hin. Noch nie zuvor habe ich so lange im Wasser gelegen. Ich will nicht an Land schwimmen.
Die Leopardenflecken sind weg, der Nabel hat aufgehört zu jucken, die Übelkeit ist verschwunden.
Ich habe ein paar zusätzliche Kilo auf den Körper bekommen, bin aber immer noch recht mager.
Die Sonne legt sich über meinen Bauch, ehe sie im Hintergrund verschwindet.
Ich kann sehen, dass das Essen fertig ist. Auf dem Rücken schwimme ich zum Strand. Mein Kopf liegt knapp über der Wasseroberfläche, genau so, dass ich den ganzen Picknickkorb sehen kann. Es zieht ein wenig im Bauch, keine Übelkeit, sondern mehr ein nervöses Zucken unter dem Nabel.
Ich frage besorgt:
»Rippchen …?«
»Die sind für uns andere«, lächelt Lina.
(2006, Herbst) Im Flugzeug.
Ich bin gebeten worden, die Eröffnungsrede auf einem Weltkongress in Edmonton in Nordamerika zu halten. Sie hatten bereits ein Ticket für einen Airbus über New York gebucht.
Ich bestehe darauf, über Toronto zu fliegen, aber da gibt es nur noch Tickets in der Business Class.
Ich sitze am Fenster, in der Business Class, in einer Boeing 747, auf dem Weg über den Atlantik, über Toronto. Und ich bezahle das Ticket selbst.
Das gönne ich mir.
Danke
Gilles de la Tourette, weil du der ganzen Sache einen Namen gegeben hast.
Lasse Kohnke, weil du mir beigebracht hast, wie man Türschwellen überquert.
Per Mindus, weil du mir drei Prozent Hoffnung gegeben hast.
Sten Levander, weil du mich ernst genommen hast.
Ihr lieben und nahen Menschen für Liebe und Nähe.
Schwedische Bürger, weil ihr in den Jahren 1992-1995 Steuern gezahlt habt.
Urban Leijon für späte Gespräche.
Inga Reidhav für entscheidende Gespräche.
Eva Åslund, meiner Verlegerin, für positive Energie.
Karin Alfredsson, meiner Lektorin, für energische Positivität.
Hotel Victoria in Toronto für Arbeitsruhe.
Mauritz Kaffehus in Göteborg für Kaffeeruhe.
Sufi Restaurant in Kabul für Essensruhe.
Ein anderes Danke an
Lina
»a sweetheart like you«
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