Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Joseph
Vom Netzwerk:
antwortete Jeanette.
    »Ich denke, sie ist Psychologin«, sagte Evelyn ernüchtert.
    »Ihren Doktor hat sie damals in der Germanistik gemacht. Ich hatte mit ihr an der Uni zu tun. Da war sie Doktorandin in den Kommunikationswissenschaften. Später hat sie dann auf Psychotherapeutin umgeschult. Sie ist  Dr. phil ., das steht sicher auch an ihrer Praxis.«
    »Dann ist mir ja einiges klar. Nicht mehr lange, und ich hätte mich zu einer physischen Übersprungshandlung hinreißen lassen. War die Polizei schon da?«
    »Nein, wir müssen ja erst Anzeige gegen unbekannt erstatten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die wegen ein paar vernichteter Akten einen Einsatzwagen schicken. Deshalb werde ich nachher vorm Feierabend in der Polizeidirektion vorbeifahren.«
    Evelyn war vor ihrem Haus angekommen, hatte ihr Schlüsselbund aus der Handtasche gekramt und den Briefkasten geöffnet. Zwei Wurfzeitungen, ein Werbeprospekt für eine sagenhaft günstige Internetflatrate und ein brauner Umschlag ohne jede Aufschrift lagen darin. Sie wog den Brief in der Hand.
    »Ich ruf dich später an.« Sie steckte das Telefon ein, legte die Zeitungen auf die Stufen vorm Haus und riss den Umschlag auf.
    Evelyn erbleichte. Sie taumelte, hielt sich am Geländer fest, setzte sich schließlich auf die Stufen. Ihr Atem ging schwer, ihre Schädelnarbe pulsierte, sie musste für einen Moment die Augen schließen. Dann sah sie erneut auf das Blatt aus dem Umschlag. Eine einfache weiße DIN-A4-Seite, in der Mitte ein einziger Satz in zwölf Punkt Times New Roman.
    »Du hast alles falsch gemacht«, lautete der Satz.

Schlacht

    Ein Horrorfilm. Madeleine war nicht mehr sie selbst, seit sie nach der Drohung im Stadthafen die Kinderbetten leer vorgefunden hatten. Dabei waren Uta und Jutta nur ins Schlafzimmer umgezogen. Als Gregor jetzt in die Küche kam, saßen die drei am Tisch. Sie kauten mit vollen Backen, in der Mitte stand ein Teller mit einer kindskopfgroßen rosigen Masse, von der sich die Kinder löffelweise Nachschub holten. Frisches Fleisch eines in sich zusammengekrümmten toten Lebewesens.
    »Was ist das?«, stammelte Gregor.
    Madeleine lächelte ihn an. »Hackepeter«, sagte sie und schabte sich auch noch eine Portion von dem fleischroten Wesen. »Den Kindern schmeckt es.«
    »Bist du irre?«, fuhr Gregor sie an. »Ist das die Ernährungsumstellung, über die wir gesprochen haben?«
    »Sprich nicht so mit mir vor den Kindern«, schoss Madeleine zurück.
    Gregor packte sie am Arm. »Komm mit.«
    Er zog sie ins Wohnzimmer und schloss die Tür.
    »Ich habe nachgelesen«, sagte Madeleine, bevor Gregor seine Schimpftirade beginnen konnte. »Der Mensch braucht tierisches Eisen. Und was fehlt unseren Kindern, blass wie sie sind? Eisen, vor allem tierisches. Woher bekommen wir tierisches Eisen? Richtig, aus Tieren. Irgendwoher müssen sie es bekommen, wenn sie nicht verwelken sollen wie zwei Primeln im Hochsommer.«
    »Sehr poetisch«, sagte Gregor. »Du hast offenbar eine sehr weite Auslegung von Vegetarismus.«
    »Und du hast eine weite Auslegung von Gesundheit.« Madeleine setzte sich auf die Sofalehne und verschränkte die Arme. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem Zopf nach hinten gebunden. Lehrerinnenfrisur, dachte Gregor.
    »Was ist mit roter Beete, mit Tomaten, roten Beeren und all dem Zeug?«
    »Das reicht nicht.« Madeleine hatte schon wieder diese Souveränität, die Gregor rasend machte, wenn sie sich stritten. »Sogar in unseren vegetarischen Kochbüchern steht, dass man tierisches Eisen eben nur von Tieren bekommt. Es sei denn …«
    »Es sei denn was?«
    »Es sei denn, man kauft sich Eisenpräparate in der Apotheke. Aber ich habe nicht vor, unsere Kinder mit Tabletten zu ernähren.«
    Gregor ließ sich auf das Sofa fallen. Auf dem Tisch lag ein ungeöffneter Brief mit amtlichem Erscheinungsbild.
    »Wo kommt der denn her?«
    »Für dich«, sagte Madeleine. »War heute früh im Briefkasten.«
    Der Brief kam vom Finanzamt, das stand in dem kleinen rechteckigen Fenster hinter knisternder Plastikfolie. Gregor riss ihn auf, unruhig und mit klopfendem Herzen. Wie immer, wenn ein amtliches Schreiben kam. Er überflog ihn ungläubig und ließ das Papier schließlich auf die Knie sinken.
    »Was ist?«
    »Steuerprüfung«, sagte Gregor und blickte wieder auf das Schreiben, das von  turnusmäßigen Stichprobenüberprüfungen  handelte. Ausgerechnet jetzt.
    »Da hast du ja ordentlich zu tun, deine ganzen Ordner auf Vordermann zu bringen«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher