Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
Schnöder Mammon
Die Geldbeträge, für die getötet wird, sind manchmal erschreckend gering: Der „Schokoladenkönig“ wird für 250 Schilling ins Jenseits befördert, bei der Textilfabrikantin sind es immerhin 50.000 Schilling, den Innenarchitekten dagegen bringt man nicht nur ums Leben, sondern um sein gesamtes Vermögen. Und gelegentlich macht ein ganz Dreister den Mord aus Habgier zu seinem Beruf – wie die Geschichte eines der berüchtigtsten Serienkiller Österreichs erzählt.
Die Wiener Würgerin
Ein Mord ohne Leiche – da tun sich Kriminalbeamte schwer. Wenn sie aber wie im Fall Gernot Fleissner* von der Schuld der Verdächtigen überzeugt sind, lohnt sich ihre Beharrlichkeit: Was sich drei Monate lang im Erdreich verbarg, war eine Rarität für die moderne Gerichtsmedizin Mitteleuropas. Doch der Reihe nach.
Im März 1999 zeigt ein Salzburger bei der dortigen Polizei die Abgängigkeit eines in Wien lebenden Verwandten an. Jener Gernot Fleissner, ein Innenarchitekt im Ruhestand, telefoniere in der Regel einmal pro Woche mit ihm, sagt sein Schwager. Nun habe Gernot sich allerdings schon seit fast einem Monat nicht mehr gemeldet, und auch sämtliche Versuche, ihn in Wien zu erreichen, seien fehlgeschlagen. Anrufe, Briefe – keine Reaktion. Die Salzburger Polizei leitet die Anzeige an das zuständige Bezirkskommissariat in der Bundeshauptstadt weiter, man verschafft sich Zugang zur Wohnung des Vermissten, findet den Mann jedoch nicht.
Dafür stechen den Polizisten einige Dokumente auf seinem Wohnzimmertisch ins Auge. Zuoberst liegt ein Abschiedsbrief, der aber nicht von Fleissner, sondern von dessen Tochter stammt. Dass die junge Frau, Fleissners einziges Kind, vor einiger Zeit Selbstmord verübt hat, wissen die Beamten bereits. Auch dass ihr Vater, dessen Ehe an dem tragischen Ereignis zerbrochen ist, zu Depressionen neigt, ist durch die Angaben des Salzburger Schwagers bekannt. Ob Gernot Fleissner seiner Tochter in den Tod gefolgt ist? Kriminalistischer Instinkt lässt die Ermittler daran zweifeln: Der Abschiedsbrief gleicht zu sehr dem Truthahn auf dem Silbertablett. Man riecht geradezu den Braten. Außerdem hätte man im Suizidfall Fleissners Leiche finden müssen – von dieser dagegen keine Spur.
Es folgt das übliche Klinkenputzen. Die Nachbarn beschreiben den Abgängigen als höflichen, reservierten älteren Herrn mit leichter Gehbehinderung und deutlichem Hang, seinen Kummer in Alkohol zu ertränken. Deshalb hat Fleissner sich lieber ein Taxi bestellt, anstatt selber mit seinem Wagen zu fahren. Das auffallende Cabrio steht stets auf einem Parkplatz vor dem Haus – beziehungsweise stand dort –, denn interessanterweise ist das Auto seit wenigen Tagen verschwunden. Ebenfalls bezeichnend: Fleissner hat sich immer nur von einer bestimmten Taxilenkerin chauffieren lassen.
Seelentrost von der Haushälterin
Durch Nachfragen in den Taxizentralen ist die Frau bald ausgeforscht. Gerda Pospischil*, Ende 40, verheiratete Mutter von vier Kindern, gibt bei ihrer ersten Vernehmung an, dass sich zwischen Fleissner und ihr vor einigen Monaten eine freundschaftliche Beziehung entwickelt hat. Fleissner habe sie, abgesehen von den Taxidiensten, auch als Haushaltshilfe engagiert. Dabei seien ihm weniger die Aufräumarbeiten in seiner Wohnung ein Anliegen gewesen, sondern vielmehr das persönliche Gespräch mit ihr. Ein einsamer, trauriger Mann, der guten Lohn geboten hat – eine willkommene Gelegenheit für sie, das Familieneinkommen aufzubessern. Zum Verbleib von Gernot Fleissner gibt Gerda Pospischil zu Protokoll: „Ich kann nur vermuten, dass er für ein paar Wochen zu seinen Verwandten nach Salzburg gefahren ist. Davon hat er bei unserem letzten Treffen gesprochen.“
Wichtige Detailfragen der Ermittler kann Pospischil gleichfalls nicht befriedigend beantworten. So verwickelt sie sich bezüglich Fleissners verschwundener Wohnungsschlüssel in Widersprüche, und was die 300.000 Schilling betrifft, die irgendjemand vom Sparbuch des pensionierten Innenarchitekten abgehoben hat, bestreitet sie vehement, auch nur das Geringste damit zu tun zu haben.
Mittlerweile haben die Beamten des Bezirkskommissariats herausgefunden, dass Familie Pospischil hochverschuldet ist: Seit der Auflösung ihres Einzelhandelsgeschäftes hat man große Außenstände bei der Sozialversicherung. Des Weiteren gelingt es, Fleissners verschwundenes Cabrio aufzuspüren: Eine mit Kopftuch und Brille verkleidete Frau, die sich als
Weitere Kostenlose Bücher