Herrscher der Eisenzeit
Tarog bei jedem Schlag zusammenzuckt, so hängen seine Augen doch fasziniert an dem Funken sprühenden Stab, der sich unter den Schlägen langsam zu verändern beginnt. Nach einigen Schlägen legt der Schmied den Hammer wieder zur Seite, hebt das Eisenstück von der Arbeitsplatte und taucht es in den Zuber, in dem das Wasser wild zu zischen und zu brodeln beginnt. Als er das Eisen wieder heraushebt, bedeutet ihm Tarog einen Moment zu warten. Erstaunt beäugt er das Eisen, auf dem die Spuren des Hammers zwar deutlich zu sehen sind, das aber weit davon entfernt ist, auch nur annähernd die Form eines Schwertes anzunehmen. Ein unglaubliches Material! Die Waffen daraus werden unbesiegbar sein! Cranntos, der Kriegsherr, wird ihn dafür lieben! Und wenn er erst einmal so weit ist, fertig geschmiedete Waffen zu verkaufen … Oh, ihr Götter! Dieser Reichtum! Diese unglaubliche Macht in seinen Händen …!
Es dauert letztlich den ganzen Nachmittag, und viele, viele Male des Aufglühens und des Schlagens mit dem schweren Hammer, bis aus dem rohen Eisenstab der Rohling für ein Schwert geworden ist. Es hat noch nicht viel gemein mit den kostbaren Waffen, die Tarog von seinen Reisen in den Süden kennt. Aber Tarog weiß auch, dass der Schmied die nächsten Tage damit zubringen wird, seine Technik zu verfeinern, dass er nicht eher ruhen wird, bis er ihm, Tarog, ein Schwert geschmiedet hat, das ihm zeigt, dass all die Mühen und das Warten nicht umsonst gewesen sind.
Müde, aber erleichtert und unendlich zufrieden mit sich selbst macht sich Tarog am Ende des Tages auf den Heimweg.
Der Anfang ist gemacht.
Ungefähr um 700 v. Chr. bricht das Eisenmonopol der anatolischen Hethiter zusammen. Knapp 100 Jahre später erreichen die Fähigkeiten, Eisen zu verhütten und zu bearbeiten, Südosteuropa. Die ersten Hochburgen der Eisenzeit südlich der Alpen entstehen dort, wo die notwendigen Rohstoffe vorhanden sind, in Slowenien und im nördlichen Kroatien. Es dauert weitere lange 100 Jahre, bis auch nördlich der Alpen die Rohstoffe und vor allem die Kenntnisse zu ihrer Bearbeitung so weit verbreitet sind, dass man wirklich von einer europäischen Eisenzeit sprechen kann.
Etwa zeitgleich wird der Mittelmeerraum von Veränderungen erfasst. Die Phönizier und die griechischen Phoker beginnen damit, entlang der Mittelmeerküste Koloniestädte zu errichten, Hafenstädte, die dem Mittelmeerhandel zu neuer Blüte verhelfen. Das Hinterland dieser Koloniestädte bleibt dabei über viele Jahrzehnte fast völlig unbeachtet. Eine der wichtigsten griechischen Stadtgründungen ist das um 600 v. Chr. entstandene Massalia – das heutige Marseille – an der Mündung der Rhône, einem der bedeutendsten Flüsse der Region.
Ein wenig weiter östlich, in Mittelitalien, entwickelt sich die aufstrebende Kultur der Etrusker zu ihrer Blüte und beginnt, die ersten zaghaften Handelskontakte in die nordalpine Region aufzubauen. Mittelmeerraum, Mittelitalien sowie der Balkan rücken zu einem kompakten, anfangs noch mehr oder weniger in sich geschlossenen Handelsnetz zusammen, das sich allmählich nach Norden hin öffnet.
Hauptlieferanten des begehrten – und teuren! – Rohmetalls bleiben über viele Jahre hinweg Slowenien, Kroatien und das erstarkende Etrurien. Langsam aber stetig werden die Routen, auf denen die Roheisenbarren zu ihren immer weiter entfernten Abnehmern reisen, jetzt zu Adern, durch die nicht nur ein neuer Werkstoff und dasWissen um seine Verarbeitung, sondern noch vieles mehr in das nordalpine Europa fließt.
Ohne dass es den Händlern bewusst ist, bringen sie den Gemeinschaften das Element, das ihnen letztlich zu ihrem Namen verhilft: »Herren der Eisenzeit«. Dies trifft umso mehr zu, als einige nordalpine Fürsten entdecken, dass sie selbst direkt auf bedeutenden Eisenerzvorkommen sitzen.
Der Luxus der Hallstattfürsten
Eines der markantesten Gräber der Hallstattzeit ist das des Fürsten von Hochdorf aus der Zeit um 530 v. Chr. Der etwa 40-jährige Mann hatte sich unter dem 60 Meter im Durchmesser messenden, acht Meter hohen Grabhügel eine hölzerne Grabkammer einrichten lassen, die darauf schließen lässt, dass der Fürst auch nach dem Tod auf ganz und gar nichts hatte verzichten wollen. Die Liste der Grabbeigaben liest sich wie eine Kolumne der eisenzeitlichen »Besser Leben« unter der Überschrift »So genießt der Mann von Welt seine letzte Ruhe«: ein vierrädriger Wagen, vollständig mit wertvollen Eisenbeschlägen
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