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HERZ HINTER DORNEN

HERZ HINTER DORNEN

Titel: HERZ HINTER DORNEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Fähigkeit, hinter die kühle Maske zu sehen, die sein Herr und Freund der Welt bot. Eine Maske, die seit jener unheilvollen Episode der kurzen Verlobung mit der schönen Demoiselle von Cambremer noch undurchdringlicher und gefährlicher geworden war.
    Jacques war der einzige Mensch, dem Justin bedingungslos vertraute, und diese Tatsache hielt ihn davon ab, ihn mit einer belanglosen Antwort abzuspeisen.
    »Ich kann es nicht sagen«, entgegnete er dennoch ziemlich abweisend. »Ich muss erst selbst darüber nachdenken.«
    »Dann lass ich dich allein«, nickte Jacques mit der Geduld eines Mannes, der die Grillen seines Freundes respektiert.
    Die Tür fiel hinter ihm zu, und Justin d'Amonceux trat an den Tisch, um sich aus der bereitstehenden Karaffe einen Becher Wein einzuschenken. Am Ende jedoch zögerte er, zu trinken. Er stand da, starrte in das dunkle Rot des Burgunders und sah es ebenso wenig wie zuvor den Himmel oder die Dächer von Winchester.
    Das zarte, fein gemeißelte Antlitz der schönen Roselynne de Cambremer stand vor seinem Auge und verdarb es für alle anderen Bilder. Sie unterschied sich von ihrer Schwester Sophia-Rose wie die sternenbestickte Nacht von einem flammenden Sonnenuntergang.
    Die Kombination der unglaublichen violetten Augen mit dem schweren, schwarzen Seidenhaar stammte von ihrer schönen Mutter. Aber die Art, wie sie den Kopf neigte, ein verführerisches Lächeln in den Mundwinkeln erblühen ließ oder mit Anmut die Falten ihres Gewandes ordnete, gehörte ihr allein. Unverwechselbar wie der sinnlich dunkle Tonfall ihrer Stimme und die verhaltene Spannung ihrer zierlichen Gestalt.
    Sie war geheimnisvoll, rätselhaft und dunkel, wo ihre Schwester leuchtend, kindlich in sich selbst verliebt und offen ehrgeizig gewesen war. Dieser Ehrgeiz hatte auch dafür gesorgt, dass sie sich einem anderen Mann zugewandt hatte, von dem sie sich mehr versprochen hatte.
    Nie würde er die bittere Demütigung jener Tage in Hawkstone vergessen, als sie ihn davon geschickt hatte: einen lästigen Verehrer, dessen Anblick ihr ein wenig peinlich war und den sie nicht mehr sehen wollte. Einen Ritter, dessen Werbung ihr Vater mit einem erkennbaren Mangel an Zustimmung nur geduldet hatte. Worauf bildete sich diese Familie eigentlich so viel ein?
    Mit einem unterdrückten Fluch setzte er den Weinbecher an die Lippen und stürzte den Inhalt hinunter. Der bittere Geschmack wurde jedoch vom Wein nicht fortgespült. Es war die Bitterkeit eines abgewiesenen Mannes, der sich selbst die größte Schuld dafür gab, dass er dumm genug gewesen war, sich verletzen zu lassen.
    Der Schwester dieser Jungfer würde er dergleichen Freiheiten sicher nicht gestatten, soviel stand fest. Justin d'Amonceux knallte den silbernen Becher auf die Platte des Tisches und legte die Hand in Höhe des Herzens auf sein gefälteltes Wams. Nicht weil er an Roselynne dachte, sondern weil er sich vergewissern wollte, dass der vertraute Umriss eines Gegenstandes sicher in der geheimen Tasche seines Hemds verwahrt war. Es war an der Zeit, dieses Pfand loszuwerden. Solange es sich in seinem Besitz befand, wurde er das Gefühl von Gefahr und Unheil ohnehin nicht mehr los.
    Allein, noch nie hatte ihn die bloße Verführungskraft einer hübschen Jungfer dazu gebracht, dermaßen den Kopf zu verlieren und sowohl seine Sicherheit als auch seinen Auftrag zu vergessen. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sein Verlangen nach Roselynne unter den Apfelbäumen des Königs gestillt, ohne sich um die Folgen zu kümmern.
    Womit hatte sie ihn verhext? Mit diesen rassig schlanken Jünglingsbeinen? Dem hingerissenen Staunen in ihrem Veilchenblick? Der sinnlichen Anziehungskraft ihrer anschmiegsamen Weiblichkeit? Welche Magie verströmten die Töchter des Lords von Hawkstone, dass er ihnen nicht widerstehen konnte?
    Er hatte alle Eventualitäten durchdacht, ehe er den gefährlichen Auftrag des Herzogs angenommen hatte. Geschützt von einem unbekannten Namen, von der augenblicklichen politischen Situation und dem eigenen geschliffeneil Intellekt, der ihm Auswege zeigte, die einem trägeren Geist verschlossen blieben, hatte er sich in Sicherheit gewähnt. Behütet auch durch seine Fähigkeit, Gefühle auszuschalten und nur der Logik und der Vernunft zu gehorchen.
    Was sollte ihm schon geschehen? Wer konnte ihn erkennen? Raynal de Cambremer, der mächtige Lord von Hawkstone, gehörte nicht mehr zu den Männern des Hofes. Er hatte sich nach dem Tod des großen Eroberers

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