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Herzenhören

Herzenhören

Titel: Herzenhören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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    S eine Augen waren mir als Erstes aufgefallen. Sie lagen tief in ihren Höhlen, und es war, als könne er den Blick nicht von mir lassen. Alle Gäste des Teehauses starrten mich mehr oder weniger unverhohlen an, aber er war der aufdringlichste. Als wäre ich ein exotisches Wesen, eines, das er zum ersten Mal sieht. Sein Alter konnte ich schlecht schätzen. Sein Gesicht war voller Falten, sechzig war er mit Sicherheit, vielleicht schon siebzig. Er trug ein vergilbtes weißes Hemd, einen grünen Longy und Gummisandalen. Ich versuchte ihn zu ignorieren und blickte mich im Teehaus um, einer Bretterbude mit ein paar Tischen und Hockern, die auf der trockenen, staubigen Erde standen. An einer Wand hingen alte Kalenderblätter, die junge Frauen zeigten. Ihre Gewänder reichten bis auf den Boden, und mit ihren langärmeligen Blusen, den hochgeschlossenen Kragen und ihren ernsten Gesichtern erinnerten sie mich an alte, handcolorierte Fotos von Töchtern aus gutem Hause um die Jahrhundertwende, wie man sie auf Flohmärkten in New York finden konnte. An der Wand gegenüber befand sich eine Vitrine mit Keksen und Reiskuchen, auf denen sich Dutzende von Fliegen niedergelassen hatten. Daneben stand ein Gaskocher mit einem verrußten Kessel, in dem das Wasser für den Tee kochte. In einer Ecke stapelten sich Holzkisten mit orangefarbener Limonade. Ich hatte noch nie in einer so erbärmlichen Hütte gesessen.
    Es war brütend heiß, der Schweiß lief mir die Schläfen und den Hals hinab, meine Jeans klebte auf der Haut. Plötzlich stand der Alte auf und kam auf mich zu.
    »Entschuldigen Sie vielmals, junge Frau, dass ich Sie so einfach anspreche«, sagte er und setzte sich zu mir. »Es ist sehr unhöflich, ich weiß, zumal wir uns nicht kennen oder zumindest Sie mich nicht kennen, nicht einmal flüchtig. Ich heiße U Ba und habe schon viel von Ihnen gehört, was aber mein Verhalten, ich gebe es zu, auch nicht höflicher macht. Ich vermute, es ist Ihnen unangenehm, in einem Teehaus, an einem fremden Ort, in einem fremden Land von einem Ihnen unbekannten Mann angesprochen zu werden, und ich habe dafür mehr als Verständnis, aber ich möchte, oder sollte ich ehrlicher sein und sagen, ich muss Sie etwas fragen. Ich habe auf diese Gelegenheit zu lange gewartet, als dass ich nun, da Sie da sind, schweigend vor Ihnen sitzen könnte.
    Vier Jahre habe ich gewartet, um genau zu sein, und oft bin ich am Nachmittag auf und ab gegangen, dort, an der staubigen Hauptstraße, wo der Bus ankommt, der die wenigen Touristen bringt, die sich in unseren Ort verirren. Manchmal, wenn sich die Gelegenheit ergab, bin ich an den seltenen Tagen, an denen eine Maschine aus der Hauptstadt landet, zu unserem kleinen Flughafen gefahren und habe, vergeblich, Ausschau nach Ihnen gehalten.
    Sie haben sich Zeit gelassen.
    Nicht, dass ich Ihnen das vorwerfen möchte, bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber ich bin ein älterer Mann, der nicht weiß, wie viele Jahre ihm noch gegeben sind. In unserem Land altern die Menschen schnell und sterben früh. Mein Leben neigt sich langsam, und ich habe noch eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte, die für Sie bestimmt ist.
    Sie lächeln. Sie halten mich für übergeschnappt, für ein wenig verrückt oder zumindest sehr verschroben? Dazu haben Sie jedes Recht. Nur bitte, bitte, wenden Sie sich nicht ab. Das alles mag rätselhaft und sonderbar für Sie klingen, und ich gestehe ein, dass mein Äußeres nicht dazu angetan ist, Ihr Vertrauen zu erwecken. Ich wünschte, ich hätte strahlend weiße Zähne wie Sie und nicht diese braunen Stummel im Mund, die nicht einmal mehr zum Kauen richtig taugen, diese Trümmer eines Gebisses. Meine Haut ist welk und schlaff und hängt von meinen Armen, als hätte ich sie dort zum Trocknen abgelegt. Man sagt, ich stinke aus dem Mund, meine Füße sind schmutzig und zerschunden vom jahrzehntelangen Laufen in billigen Sandalen, mein Hemd, das einmal weiß war, hätte eigentlich schon vor Jahren in den Müll gehört. Glauben Sie mir, ich bin ein reinlicher Mensch, aber Sie sehen, in welchem Zustand sich unser Land befindet. Beschämend. Ich bin mir dessen durchaus bewusst, aber ich kann es nicht ändern, und es hat mich viele Jahre meines Lebens gekostet zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann. Lassen Sie sich nicht von meiner äußeren Erscheinung in die Irre führen. Verwechseln Sie meinen Gleichmut nicht mit Desinteresse oder Resignation. Nichts läge mir ferner, meine

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