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Herzenhören

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Titel: Herzenhören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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kannte. Es waren Geschäfte, Kaufhäuser auf zehn Quadratmetern, die alles anboten von Reis, Erdnüssen, Mehl und Haarshampoo bis zu Coca Cola und Bier. Die Ware lag wild durcheinander, es gab keine Ordnung oder aber eine, die mir fremd war.
    Jeder zweite Laden schien ein Teehaus zu sein, die Gäste hockten auf kleinen Holzschemeln davor. Um den Kopf hatten sie sich rote und grüne Frotteehandtücher gewickelt, ein Kopfschmuck, der ihnen so selbstverständlich war, wie mir meine dunkelblaue New-York-Yankee-Baseballmütze. Anstelle von Hosen trugen die Männer Gewänder, die wie Wickelröcke aussahen, und sie rauchten lange dunkelgrüne Zigarillos.
    Vor mir standen ein paar Frauen. Sie hatten sich gelbe Paste auf Wangen, Stirn und Nase geschmiert und sahen aus wie Indianerinnen auf dem Kriegspfad, und jede paffte einen dieser stinkenden grünen Stummel.
    Ich überragte sie alle um mindestens einen Kopf, auch die Männer. Sie waren schlank, ohne dabei hager zu wirken, und sie bewegten sich mit der Eleganz und Leichtigkeit, die ich an meinem Vater immer bewundert hatte. Dagegen fühlte ich mich fett und schwerfällig mit meinen sechzig Kilo und meiner Größe von 1,76.
    Am schlimmsten waren ihre Blicke.
    Sie wichen mir nicht aus, sie schauten mir direkt ins Gesicht und in die Augen und lächelten. Es war kein Lächeln, das ich kannte.
    Wie bedrohlich ein Lachen sein kann.
    Andere grüßten mit einem Kopfnicken. Kannten sie mich? Hatten sie alle, wie U Ba, auf meine Ankunft gewartet? Ich wollte sie nicht sehen. Ich wusste nicht, wie ich ihren Gruß erwidern sollte und lief so schnell ich konnte die Hauptstraße hinunter, den Blick auf ein imaginäres Ziel in der Ferne gerichtet.
    Ich sehnte mich nach New York, nach dem Krach und dem Verkehr. Nach den ernsten und abweisenden Gesichtern der Passanten, die aneinander vorbeilaufen, ohne einander zu beachten. Selbst nach dem Gestank der übervollen Mülltonnen an einem schwülen, stickigen Sommerabend sehnte ich mich. Nach irgendetwas Vertrautem, etwas, an dem ich mich festhalten konnte, das Schutz versprach. Ich wollte zurück an einen Ort, an dem ich mich zu bewegen und zu verhalten wusste.
    Etwa hundert Meter weiter gabelte sich der Weg. Ich hatte vergessen, wo mein Hotel lag. Ich blickte mich um, suchte nach einem Hinweis, ein Schild vielleicht oder ein Detail am Straßenrand, ein Busch, ein Baum, ein Haus, das ich vom Hinweg erinnerte und das mir die Richtung weisen könnte. Ich sah nur monströse lilafarbene Bougainvilleabüsche, die höher waren als die Hütten, die sich dahinter verbargen, sah vertrocknete Felder, staubige Bürgersteige und Schlaglöcher, so tief, dass sie Basketbälle verschlingen könnten. Wohin ich blickte, es sah alles gleich aus, fremd und unheimlich.
    Sollte ich, Julia Win aus New York, der in Manhattan jede Straße, jede Avenue vertraut ist, sollte ich mich in diesem Kaff mit seinen drei Längs- und vier Querstraßen verlaufen haben? Wo waren mein Gedächtnis, mein Sinn für Orte, meine Souveränität, mit denen ich mich in San Francisco, Paris und London zurechtgefunden hatte? Wie konnte ich so leicht die Orientierung verlieren? Ein Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit kroch in mir hoch, wie ich es in New York noch nie empfunden hatte.
    »Miss Win, Miss Win«, rief jemand.
    Ich wagte kaum, mich umzudrehen und blickte über die Schulter zurück. Hinter mir stand ein junger Mann, den ich nicht kannte. Er erinnerte mich an den Pagen im Hotel. Oder den Kellner im Teehaus. An den Kofferträger am Flughafen in Rangun, an den Taxifahrer. Sie sahen alle gleich aus, mit ihren schwarzen Haaren, den tiefbraunen Augen, ihrer dunklen Haut und diesem unheimlichen Lächeln.
    »Suchen Sie etwas, Miss Win? Kann ich Ihnen helfen?«
    »Nein, danke«, sagte ich, die dem Fremden misstraute und nicht auf seine Hilfe angewiesen sein wollte.
    »Ja, mein Hotel, den Weg«, sagte ich, die sich nach nichts mehr sehnte als nach einem Versteck, und sei es das erst heute Morgen bezogene Hotelzimmer.
    »Hier rechts den Berg hinauf, dann sehen Sie es. Keine fünf Minuten«, erklärte er.
    »Danke.«
    »Ich hoffe, Sie haben eine schöne Zeit bei uns. Willkommen in Kalaw«, sagte er und ging weiter.
    Im Hotel ging ich grußlos an der lächelnden Empfangsdame vorbei, stieg die schwere Holztreppe hinauf in den ersten Stock und sank auf mein Bett. Ich war erschöpft, wie selten zuvor in meinem Leben.
    Mehr als zweiundsiebzig Stunden war ich von New York nach Rangun unterwegs

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