Herzgesteuert: Roman (German Edition)
Rauchen und Trinken verboten haben, weil sie beides nicht mehr darf. Und was sie ihm noch so alles verboten hat, interessiert mich nicht.
Ich habe so viel Arbeit, dass ich ihn nicht sonderlich vermisse.
Nirgendwo erfährt man so viel über gescheiterte Ehen wie im Immobiliengewerbe. Fast jeden Tag habe ich eine enttäuschte Frau oder einen entrüsteten Mann bei mir im Büro sitzen, und immer muss sofort eine Wohnung her. Oder aber das gemeinsame Haus, in dem man jahrelang glücklich war, muss schnellstens verkauft werden, damit man den ungeliebten Partner auszahlen kann. Für solche Fälle steht eine Flasche Prosecco bereit, und die Kleenex-Box ist auch stets in Reichweite. Manchmal verdiene ich auch am Elend der anderen, und dann schäme ich mich fast ein bisschen. Aber Geschäft ist Geschäft! Man muss die Gelegenheit beim Schopfe packen. Ein Chirurg fängt ja auch nicht an zu weinen, wenn er einen Unfallpatienten operieren muss.
Wenn ich nach solchen Tagen voller Tränen und Emotionen mit geschwollenen Füßen und angeknackster Seele heimkomme, bleibt Christiane gern noch auf ein bis drei Gläschen Wein, um mir was von ihrem ausgefüllten Tag mit Fanny vorzugackern. Dann erfahre ich alles, was mit meinem Kind zu tun hat – und was ich sonst nie erfahren würde.
Dass Fanny neuerdings wieder gern ins Ballett geht. Weil da jetzt ein Junge mittanzt. Bernie.
Dass Fanny dringend wegen der neuen Zahnspange zum Kieferorthopäden muss.
Dass Fanny neue Schuhe braucht, und zwar solide Schnürschuhe mit durchlässiger Ledersohle. Bei Salamander gibt es ganz reizende Mädchenschuhe in Pink. Pick.
Dass Fanny ihren Mathelehrer nicht leiden kann. Und der sie auch nicht. Hack.
Dass Fanny Schweißfüße hat – was aber nur an diesen bescheuerten Turnschuhen liegt, die sie einfach nicht zubinden will. Scharr.
Dass Fanny keine beste Freundin findet, weil sie ein Trennungskind mit Bindungsängsten ist. Natürlich ist das alles meine Schuld.
Dass Fanny schon einen Busen bekommt und man mal über den Kauf eines Sport-BHs nachdenken müsse. (Stichwort Bernie.)
Dass Fanny neuerdings einen riesengroßen Appetit auf Gurken-Vollwertaufstrich-Vollkornbrot hat und jetzt immer zwei davon in die Schule mitnimmt.
Ist mein Kind etwa schwanger? Von Bernie? Hm, wer weiß, was Christiane demnächst noch so aus dem aufgeplusterten Gefieder schüttelt.
»Komisch«, seufze ich, während ich mir die schmerzenden Füße reibe. » Meine Vollwertbrote will sie nicht essen. Schon gar nicht in der Öffentlichkeit.«
»Weil du sie nicht mit Liebe machst«, gackert mein Schwesterhuhn selbstgefällig. »Das spürt so ein Kind.«
Ich schaue sie ratlos an. Kann es sein, dass sie das wirklich ernst meint, was sie da von sich gibt?
Christiane interpretiert meinen fragenden Blick als Aufforderung, weiterhin dummes Zeug zu reden. »Weil du sie immer in Eile machst. Und schon hast du wieder dein Handy am Ohr und rennst auf deinen hochhackigen Schuhen in die Garage, weil du wieder zu irgendeinem Termin musst. Da muss deinem armen Kind ja der Appetit vergehen …«
»Sie findet Schulbrote generell peinlich«, werfe ich überrascht ein.
»Aber nicht meine«, brüstet sich Christiane. »Meine Schulbrote sind in der Schule der Hit. Neuerdings muss ich sogar noch welche für ihre Freundinnen schmieren.«
»Interessant.« Ich unterdrücke ein Gähnen.
»Sie hat zurzeit einen Wachstumsschub«, klärt mich Christiane auf. »Da kann sie essen bis zum Platzen. Sie nimmt nicht zu.«
»Beneidenswert«, entfährt es mir. »Wenn das doch uns passieren würde.«
Christiane neigt zu leichtem Übergewicht, doch sie trägt es mit Fassung, vorzugsweise in rosafarbenen Strickensembles. Flotte Halstücher und eine blonde Föhnwelle sollen von ihrem Hüftgold ablenken.
»Ach ja. Der Mathelehrer will dich sehen«, wechselt meine Gluckenschwester das Thema, während sie auf meinem Schreibtisch nach einem Zettel sucht. »Der Mann hat schon dreimal angerufen. Du warst nicht beim Elternsprechtag.« Strafender Blick. »Unser Kind steht auf einer wackeligen Vier.«
Unser Kind. Nun ja. Das muss ich schlucken.
»Und … ähm … könntest du ihr da vielleicht helfen?«, frage ich, wobei auch ich mich erhebe. Wenn wir schon mal stehen, wird sie vielleicht bald gehen.
»Nicht, dass ich nicht gut im Rechnen wäre«, sagt Christiane, setzt ihre Brille auf und zieht den Zettel zwischen meinen Notizen hervor. »Aber es ist ja wohl nachvollziehbar, dass der Mathelehrer dich sehen
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