Herzgesteuert: Roman (German Edition)
wir uns Geschichten erzählt und waren uns nahe, hier hat sie mir ihre kleinen Sorgen gestanden und ich ihr meine großen. Hier haben wir gemeinsam gemalt, gepicknickt, leise gesungen und die Beine baumeln lassen.
Auf meiner Lieblingsbank unter der großen Trauerweide, auf deren verzweigten Ästen Fanny früher immer herumgeklettert ist, sitzt allerdings ein störender Schandfleck.
Ein schmuddeliges Wesen.
Jetzt entdecke ich auch den überladenen Einkaufswagen.
Es ist der Penner von heute Morgen.
Seelenruhig sitzt er da, immer noch mit dieser grob gestrickten Wollmütze und den zerfledderten Handschuhen, und liest die FAZ, die er heute im Supermarkt gekauft hat!
Der hat Nerven!
Eh, Mann, verkrümel dich! Das ist unsere Bank!
So ein Mist.
Jetzt kann ich mich nicht mal auf mein Lieblingsfleckchen … Oder glaubt der allen Ernstes, ich würde mich neben ihn setzen?
Abwartend baue ich mich in gebührlichem Abstand vor der Bank auf.
Gehst du da wohl sofort weg?
Am liebsten würde ich »Ksch!« machen.
Der Penner hebt noch nicht einmal den Blick.
»Mama? Ist das ein Krimineller?« Fanny bleibt atemlos neben mir stehen und sucht unwillkürlich meine Hand.
»Nein. Nehme ich zumindest nicht an.«
»Aber warum sitzt der auf unserer Bank?«
»Weil er sich sonnen will?«
»Aber warum nimmt er dann die Mütze nicht ab?«
»Vielleicht hat er Läuse«, knurre ich wütend.
»Ist der arbeitslos?«
»Nein. Der ist Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank. Gleich steigt er in seinen Mercedes und fährt in seine Villa am Stadtrand. Da springt er sicher noch mal in seinen Pool und schwimmt’ne Runde.«
Fanny guckt mich einen Moment lang verdutzt an: »Du machst dich über den armen Mann lustig!«
Ich grinse. »Aber nein! Ich scherze nur.«
»Find ich aber gemein von dir.« Fanny malt mit ihren Turnschuhen Muster in den Sand des Parkwegs.
»Das ist bestimmt ein ganz armer Mann.«
»Im Paaark saß, ihim Paaark saß, ihim Park, da saß ein armer Mann, hat Kleider nicht, hat Lumpen an«, singe ich leise vor mich hin.
»Mama, das ist nicht witzig!«
»Nein. Ist es nicht. Entschuldigung.«
Fanny schenkt mir einen verächtlichen Blick, dann kramt sie entschlossen in der Schultasche und angelt nach dem Gurken-Radieschen-Vollwertaufstrichbrot.
»Was machst du da … ich meine, du willst doch nicht …«
»Doch.« Mit gestrafften Schultern schreitet mein Kind auf das schmuddelige Wesen zu.
Der Penner hebt erstaunt den Kopf, als Fanny ihm das Schulbrot reicht.
Ich erstarre. Wird er es ihr mit einer unflätigen Bemerkung an den Kopf werfen? Schon bin ich sprungbereit. Wenn er meinem Kinde ein Leides tut, dann …
Er lächelt. Dann schaut er auf das Brot, auf mich und wieder auf Fanny.
Der Penner lächelt meine Fanny an! Und spricht mit ihr! Vergnügt packt er die Gurkenstulle aus und beißt hinein. Kauend nickt er und scheint Gefallen an dem Vollwertbrot zu finden. Aber doch wohl nicht an meiner Fanny?!
Fanny antwortet höflich und artig, wobei sie verlegen von einem Fuß auf den anderen tritt.
He! Sie da! Belästigen Sie meine Tochter nicht! Was fällt Ihnen ein, Sie ungehobelter, arbeitsloser … Lümmel!
Der Penner verdrückt die Stulle mit großem Appetit. Mir schenkt er einen kurzen Blick aus Augen, die unter seiner Mütze kaum zu erkennen sind.
Fanny dreht sich um und kommt strahlend zu mir zurückgelaufen.
»Was habt ihr geredet?!«
»Nix!«
»Aber ihr habt euch doch unterhalten!«
Fanny zuckt die Schultern und schickt sich zum Gehen an.
»Und?«, höre ich mich wie meine Schwester sagen, während ich nach der Schultasche greife. »Du weißt, dass solche Leute einen ganz schlechten Einfluss auf junge Menschen haben, weil sie sie zu Alkohol und Nichtstun verführen. Danach ist ihnen der Weg in eine erfolgreiche Zukunft für immer verbaut …«
»Mama, jetzt spinnst du aber«, kanzelt Fanny mich ab. »Der Mann ist doch viel zu alt für mich!«
3
I mmobilien verkaufen sich im Frühling wie warme Semmeln. Ich bin nur noch auf Achse, hetze von einem Objekt zum anderen, treffe Kunden, vermittle, verhandle. Stefan Stör erweist sich als sehr kompetenter Kollege, der viel Berufserfahrung mitbringt. Manchmal denke ich noch an Karsten Korzkamp, mit dem ich dieses Gewerbe einmal zusammen betrieb, aber außer seinen zu klein gewordenen Anzügen, die er bei mir hat hängen lassen, erinnert mich nicht mehr sehr viel an ihn.
Seine neue Frau Kirsten, die ein Kind von ihm erwartet, soll ihm angeblich das
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