Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
wahrscheinlich, lieber beschämt, aber mit heiler Haut und tipptopp weg von hier, als sich die Kleider verdrecken mit Blut. Und es wär sein eigenes, er würde im Mut des Jähzorns unterliegen. Er hat sich mit hochgezogenen Schultern in die andere Richtung geschlagen. Wir haben also nicht denselben Weg. Er ist nicht dort angestellt, wo ich bestellt bin. Schade, sonst würd ich jetzt einen zwar nicht näher, aber anders als Albu kennen. Einen Bloßgestellten, der in den Staub getreten wurde und nichts tut. Der Schaffner schreit: Beeilt euch, sonst wirds Weihnachten, ehe ich vom Fleck komm. Die Kirschesserin ist schon draußen, sie geht zum Müllkorb und wirft das zerknäulte Stanitzel weg. Durch das Fenster fliegt eine Mütze ins Gesicht des Schaffners, ein Mann hat sie hereingeworfen. Sein Haar ist struppig, die Hose naß verpißt, das Hemd blutig. Er hat eine frische Wunde auf der Stirn. Neben ihm liegt ein zugebundener Sack, der strampelt. Der Schaffner wirft die Mütze wieder hinaus: Behalt deine Läuse. Behalt die Mütze, bis ich komme, lacht der Mann, ich steige doch ein. Bei mir nicht, sagt der Schaffner, ich bin nicht Klosettputzer, das hier ist eine Straßenbahn. Seit heute Nacht um zwei Uhr und sieben Minuten bin ich Vater, sagt der Mann und torkelt, ich hab einen Sohn, meine Frau ist im Entbindungsheim. Und was ist in dem Sack, fragt der Schaffner. Ein Lamm, sagt der Mann, das schenk ich dem Arzt und küß seine goldene Hand. Er will seine Mütze aufsetzen und findet seinen Kopf nicht. Er steckt sie in die Hosentasche. Kommt nicht in Frage, sagt der Schaffner, wenn dein Sohn mir in den Wagen pißt, darf er weiterfahren, weil er nicht laufen kann. Aber du doch nicht. Der Mann zieht seinen Sack über die Schienen und drängt sich an die Tür. Die Aussteigenden drücken ihn weg. Er stellt einen Fuß mitten auf die Treppe. Der Schaffner steht auf und stößt ihn hinunter. Er stürzt. He, Chef, wenn du mich hier läßt, du nimmst mich mit, dein Sohn soll erblinden... Der Schaffner spuckt auf die Treppe und schließt die Tür und fährt los. Das Lamm im Sack hat kurz geschrien. Die Räder, vielleicht sind sie drübergefahren. Vor mir wollten noch Leute aussteigen und hinter mir, alle schweigen. Der Schaffner sagt: Es ist nicht weit, bei der nächsten Station laß ich euch alle raus. Es ist nicht weit, das sagt er so, der Schaffner, aber ich muß mich zurückbeeilen. Bei der nächsten Station ist es Viertel vor zehn.
Ich weiß, man kann große Schritte machen, gleichzeitig treten und atmen. Nicht auf die Schuhe sehen, und nicht auf einen Punkt in der Luft, damit nichts zu schwimmen anfängt. Man muß den Blick wechseln wie beim ruhigen Gehen, kommt fast so schnell voran wie im Laufen und hetzt sich nicht ab. Aber dazu müßte der Weg frei sein, die beiden vor mir müßten endlich Platz machen. Sie tragen Wassermelonen, ihr Netz schaukelt über den Weg. Der Verkäufer hat ihnen einen dreieckigen Zwickel in jede Melone geschnitten. Bestimmt hat er jeden Zwickel mit der Messerspitze zum Kosten an den Mund gehoben und die Melonen wieder zugestöpselt. Sie haben nur reife Melonen im Netz, diese beiden. Angezwickelte Melonen gären rasch, man muß sie am gleichen Tag essen. Ob die zwei mit dem Netz eine so große Familie haben. Oder zu zweit heute Mittag, Nachmittag und Abend nichts als Melonen essen wollen, fünf kalte Melonen mit Brot dazu, damit sie nicht Durchfall und Schüttelfrost kriegen. Warme Melonen schmecken nach Schlamm, man muß sie kühlen. In keinen Kühlschrank gehen fünf Melonen, höchstens in die Badewanne. Mein Opa sagte:
Früher ließ man die Melonen in den Brunnen. Das Wasser trägt sie leicht, sie schwimmen. Nach einer Stunde kann man sie mit dem Eimer fischen und essen. Beim ersten Bissen schmerzt der Mund wie im Schnee, aber die Zunge gewöhnt sich daran. Überkühlte Melonen sind eine Falle, mehligsüß, man ißt zu viel, der Magen erfriert. An Brunnen-Melonen sind jeden Sommer Leute gestorben, auch in der Stadt. An Badewannen-Melonen stirbt keiner, viele aber in der Badewanne. Ja, man kann sich morgens warm waschen, und mittags Melonen kühlen, und nachmittags Lämmer und Gänse schlachten, und das Blut wegspülen, und sich abends wieder warm waschen. Alles in der Badewanne. Und wenn man Melonen, Lämmer, Gänse und sich selber satt hat, kann man sich darin ertränken, sagte mein Opa, jaja man könnte.
Lieber im Fluß, sagte ich.
Hier in der Nähe ist doch keiner, soll man auch noch
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