Hexen in der Stadt
Er war indessen ein treuer Diener seines Herrn und versuchte das Unmögliche. Am Nachmittag des 10. Juni, während nach einem kurzen Ausbruch sommerlicher Hitze ein schweres Gewitter heraufzog, ließ er sich zur Burg hinauffahren, um den Erlaß zur Unterschrift vorzulegen.
Um die gleiche Stunde wurden dem Bischof zwei Besuche gemeldet, ein bestellter, längst mit Ungeduld erwarteter und ein unerwarteter, unerwünschter. Der erwartete war ein gewisser Pater Friedrich, der dem Bischof auf sein Ersuchen von weither geschickt worden war, um an der künftigen Unzahl von armen Sündern das Amt des Beichtigers zu versehen. Der örtlichen Geistlichkeit konnte diese zusätzliche Arbeit nicht zugemutet werden. Auch schien es angebracht, eine so heikle Aufgabe eher einem Priester anzuvertrauen, der fremd im Ort und nicht in Parteilichkeit befangen war. Pater Friedrich war als eine in jeder Hinsicht geeignete Persönlichkeit empfohlen worden, eine junge Leuchte seines Ordens, in der Seelsorge wie in missionarischer Beredsamkeit wohl bewährt, dazu außergewöhnlich klug. Er war, obwohl man ihn schon seit Wochen erwartete, erst am heutigen Mittag in der Stadt eingetroffen und sogleich auf die Burg befohlen worden.
Mit ihm zugleich meldete der Diener den anderen Besuch, den unerwarteten, unerwünschten: eine Frau. Sie hatte offenbar unter dem Schutz des Paters sich Einlaß zu verschaffen gewußt und verlangte dringend vorgelassen zu werden. Der Bischof runzelte die Stirn und setzte zu einer zornigen Zurechtweisung an. Hatte er nicht erst neuerdings streng verboten, Bittsteller und ganz besonders Bittstellerinnen zu ihm zu lassen, außer wenn sie durch vertrauenswürdige Personen empfohlen waren? Er wußte wohl warum! Aber der Diener, sein alter Mathias, blinzelte schlau und flüsterte: »Es ist die Reutterin, die Frau vom Doktor, Ihr wißt schon!«
Der Bischof schloß den schon geöffneten Mund, die zornige Zurechtweisung unterblieb. Selbst der Diener Mathias, der seinen Herrn von Kind auf kannte wie kein anderer, fand, daß Seine Fürstliche Gnaden in diesem Augenblick fast töricht aussahen, so sehr verschlug Ihnen das Staunen Worte und Gedanken. Dann, schnell gefaßt, befahl der Bischof: »Sie mag warten. Zuerst den Pater!«
Der trat ein, noch jung, hochgewachsen, mit durchdringenden dunklen Augen. Diese Augen, obgleich sie nichts anderes ausdrückten als ehrerbietige Aufmerksamkeit, wie es sich gehörte, waren dem Bischof unbehaglich. Ja, sie nahmen ihn gegen den Pater ein, und er rügte ihn erst einmal wegen seiner verspäteten Ankunft und dann wegen der Unverfrorenheit, bei seiner ersten Audienz eine fremde Frauensperson mit einzuschmuggeln. Was er sich nur dabei gedacht habe? Es beständen strenge Vorschriften, die er sich gefälligst zu eigen machen möge.
Pater Friedrich rechtfertigte sich in bescheidenem Ton. Seine Reise durch das von Kriegsvölkern durchstreifte Land sei außergewöhnlich gefahrvoll gewesen. Er habe manchen Umweg machen müssen. Auch sei der Mitbruder, der ihn begleitet habe, unterwegs an der Pest erkrankt, so daß er ihn tagelang habe pflegen, zuletzt aber doch begraben müssen. Was die Frau angehe, so habe er nicht geglaubt, einen Verstoß zu begehen, als er sie auf ihre flehentliche Bitte mit sich in den Bischofspalast genommen hatte. In Zukunft werde er vorsichtiger sein.
Diese bescheidene Antwort stimmte den Bischof etwas gnädiger. Er fragte den Pater nach seinen Erfahrungen mit Hexen und erfuhr, daß sie gering seien. »Nun, Ihr werdet das Nötige bald lernen«, meinte er und deutete an, was nicht nur der geistliche Oberhirt, sondern auch die Justiz von einem pflichtbewußten Hexenbeichtiger erwarte.
Aber der Pater Friedrich war trotz seiner ausdrücklich gerühmten Klugheit offenbar schwer von Begriff. Seine dunklen Augen blickten zweifelnd vom Bischof zum Kanzler, als er fragte: »Ich verstehe nicht recht – was hat der Beichtiger mit der Justiz zu tun?«
Philipp Adolf, schon wieder ungeduldig, verwies ihn an den Kanzler, der ihn anhand der Prozeßakten in seine Aufgabe einführen werde. Denn unverzüglich müsse mit der Arbeit begonnen werden. Auf heut in einer Woche sei der erste Hexenbrand angesetzt, und die Zahl der Verhafteten wachse täglich. Der Kapuziner Petri Kettenfeier schaffe es allein nicht mehr.
Während Doktor Brandt den Pater in eine der Fensternischen führte, wo auf einem langen Tisch Akten gehäuft lagen, gab der Bischof dem Diener einen Wink, auf den der
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