Hexen in der Stadt
anscheinend schon gelauert hatte. Die Tür ging auf, und die Frau trat ein. Sie verneigte sich tief mit rauschenden Röcken, nahe an der Tür und dann noch einmal vor dem Bischof, als sie den gnädig dargereichten Ring küßte. Dann stand sie wieder aufrecht, eine leichte, anmutige Gestalt von unbestimmtem Alter, im schwarzen Kirchenkleid der Bürgersfrauen, mit Haube und Halskrause aus feinem Leinen – eine aus der Stadt, eine von Hunderten. Was war Besonderes an ihr, daß der Bischof sie erst nicht hatte vorlassen wollen und es jetzt doch tat? Warum starrte er sie so an? Aber Seine Fürstlichen Gnaden hatten sich schon gefaßt und fragten huldvoll nach dem Doktor Reutter, dem die Stadt während der Pestzeit so viel zu danken gehabt habe. »Und Sie, Reutterin, soll ihm ja brav zur Hand gegangen sein. Hat Sie denn keine Angst vor der Ansteckung gehabt? Sie hat doch Kinder im Hause, höre ich.«
»Drei Töchter, Fürstliche Gnaden«, erwiderte die Frau unbefangen. »Aber sie sind schon groß, die eine ist an einen Ratsherrn verheiratet. Ja, ich bin schon Großmutter.« Sie lachte ein wenig und fuhr fort: Angst vor Ansteckung habe sie nicht gehabt. Ihr Mann sage immer, das sei der sicherste Weg, krank zu werden. Auch habe er gute Mittel dagegen gewußt. Da hörte man’s wieder! Der Diener Mathias versuchte, einen vielsagenden Blick mit dem Kanzler zu tauschen, aber das gelang nicht. Indessen fragte der Bischof, weiterhin äußerst gnädig, was denn die Reutterin so dringend von ihm wünsche, daß sie wider sein strenges Verbot hier eingedrungen sei. »Denn ohne Ihre und Ihres Gatten hohe Verdienste hätte ich Sie niemals vorgelassen, das weiß Sie wohl!«
Da legte sie die Hände gegeneinander und sagte hell, ganz ohne Scheu und laut genug, daß jeder im Saal sie verstand:
»Erbarmen, Fürstliche Gnaden, für die armen Hexen in dieser Stadt!«
Ein furchtbares Schweigen folgte den Worten. Die vier Männer starrten sie an, die so Ungeheuerliches gewagt hatte: lauernd der Diener, der Kanzler, der erfahrene Hexenrichter, mit drohendem Geierblick, der Bischof mit undeutbarem Ausdruck, die Hand am Kinn, und in tiefer Bestürzung der Pater. Sie aber schien das gar nicht zu merken und fuhr, da sie ohne Antwort blieb, unbekümmert fort: »Denn das sind doch gar keine Hexen. Sehen Fürstliche Gnaden sich doch die armen Weiber an, die da eingefangen werden, alt und gebrechlich die meisten, viele wohl auch dumm oder boshaft, wie das Leben nun einmal die Menschen macht. Aber Gewalt, das Böse zu tun? Keine hat mehr davon, als ihre beiden Hände reichen oder eher noch die Zunge. Wenn der Teufel sich Gefolgschaft sucht, meint Ihr nicht, er würde andere wählen als diese Armseligen?« Bischof Philipp Adolf erwiderte, diesmal ganz und gar nicht huldreich, sondern in grimmigem Ernst, wenn sie recht habe, so würden das die Prozesse erweisen. Die brächten alles ans Licht und würden jeden der ihm gebührenden Strafe zuführen – jeden und jede. Da solle keiner hoffen davonzukommen! War sie nun gewarnt? Es schien nicht so, denn sie fing von neuem an. Ein Fall liege ihr und ihrem Manne besonders am Herzen und sei wohl geeignet, Seine Fürstliche Gnaden nicht nur zu väterlichem Erbarmen zu bewegen, sondern auch zu strenger Prüfung der vorgenommenen Verhaftungen. »Im Hexengefängnis liegt seit gestern ein Kind, ein Mägdlein von zwölf Jahren. Es ist fremd in der Stadt, mit andern Flüchtlingen zugewandert aus Oberfranken, aus einem Dorf, das die Kroaten zerstört haben. Die Bewohner wurden zu Tode gemartert, das Kind allein entkam und schlug sich durch zu einer Muhme, die es hier in der Stadt hat. Das dumme Weib hat es ins Unglück gebracht. Es wußte nichts Klügeres, als überall zu erzählen, das Kind sei vom Teufel besessen und Schlimmeres. Aber wer kann sich wundern, daß es sich anders beträgt als Kinder sonst, des Nachts laut schreit und sich in Winkel flüchtet! Helfen doch Fürstliche Gnaden zu verhüten…«
»Schweig!« fuhr sie der Bischof grob an. »Schweige Sie und rechne Sie es sich als große Gnade an, wenn ich Ihr Gerede vergesse! Weiß Sie denn nicht, wie solche Einmischung in die Malefizgerichtsbarkeit anderswo bestraft wird?«
Sie ließ die Hände sinken, die sie bittend erhoben hatte, stand regungslos und senkte den Kopf. Dann hob sie ihn wieder und sagte leise: »So? So ist das, Fürstliche Gnaden? Ja, dann vergebt nur!« Sie verneigte sich wieder und ging.
Als sie, schon an der Tür, noch einmal das
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