Hexen in der Stadt
draußen.
Pater Friedrich an Pater Tannhofer:
den 10. Juni 1627
um Mitternacht
Mein hochverehrter Freund und Vater!
Unter dem heutigen Datum, so hatte ich gehofft, solltet Ihr längst meinen ersten Brief vom Reiseziel in Händen halten mit treulichem Bericht über die neue Umgebung, neue Pflichten und, so Gott es wollte, auch vom errungenen Sieg über die Euch bekannten Anfechtungen.
Nun aber bin ich erst am heutigen Tage, genauer vor knapp zwölf Stunden, hier angekommen, kaum vom Reisestaub gesäubert, zu einer Audienz bei Seinen Fürstlichen Gnaden befohlen und von den neuen Aufgaben, die meiner hier warten, so bis zum Verstummen überwältigt, daß ich erst in dieser Nachtstunde die Muße finde, Euch den längst schuldigen Brief zu schreiben. Schlaf habe ich trotz meiner Ermüdung vergeblich gesucht. So mag es denn, nächst dem Gebet, die würdigste Art sein, diese ruhelosen Stunden hinzubringen, daß ich im Geiste mit Euch rede.
Vor allem sollt Ihr erfahren, warum sich meine Reise so sehr verzögert hat, die doch in friedlichen Zeiten eine Frühlingswanderung von wenig mehr als zwei Wochen gewesen ist. Diesmal hat sie sich über fast zwei Monate hingezogen und glich mehr einem Weg durch die Hölle als durch wohlbebautes deutsches Land. Die großen Heerstraßen wimmelten von Kriegsvölkern, so daß wir unsern Weg abseits durch Dörfer und kleine Städte suchten. Aber was wir dort antrafen, war kaum weniger schlimm als die Grausamkeiten der Soldateska. Hunger und Pest haben überall gehaust und die Menschen mit Argwohn und Haß gegeneinander erfüllt. Ist es ein Wunder, wenn sie in zwei Mißernten und soviel andern Heimsuchungen ein Werk des Satans und seiner Genossen sehen? Vom Überhandnehmen der Hexen zeugt auch die verschärfte Verfolgung, die sie überall durch die Obrigkeit erfahren. Niemals sah ich an so vielen Orten verkohlte Pfosten aus niedergebrannten Scheiterhaufen ragen, schauerliche Mahnmale. Mögen die Heiligen uns vor diesem Unwesen erretten!
Zuletzt, als wir uns dem Ziel schon nahe glaubten, gerieten wir in eine Gegend, die von der Pest fast ganz entvölkert war. Auf verlassenen Höfen mußten wir uns selbst Nahrung suchen, kümmerlich genug. Dabei mag Pater Kircher, der mich begleitete, etwas vom Gift der Krankheit aufgelesen haben. Er erkrankte und starb nach einigen Tagen, zumal ich wenig für seine Pflege tun konnte. Darüber habe ich Genaues an den Pater Provinzial geschrieben. Nachdem ich meinen Gefährten an einem sorgsam bezeichneten Ort, wiewohl in ungeweihter Erde, bestattet hatte, zog ich weiter, aus den Dörfern verjagt, weil ich aus dem verseuchten Gebiet kam, auf Umwegen und oft verirrt, bis ich endlich heute mittag diese Stadt und unser Ordenshaus erreichte, am siebenundvierzigsten Tag nach meinem Aufbruch. Ich war schon mit Ungeduld erwartet worden, und der Bischof, der zuletzt fast täglich nach mir hatte fragen lassen, befahl mich sofort zu sich. Von dieser Audienz würde ich Euch gern ausführlich berichten, wenn es mündlich geschehen könnte. So aber hüte ich mich lieber, eine vielleicht voreilige Meinung unbedacht niederzuschreiben. Es ist möglich, daß ich noch Euren Rat brauchen werde, falls es wirklich an dem sein sollte, daß hierorts das Amt des Hexenbeichtigers nicht allein auf den geistlichen Bereich beschränkt ist. Doch kann ich mich irren. Denn das Gespräch war nur kurz, eines Zwischenfalls wegen, an dem ich nicht unschuldig bin.
Als ich, in Eile und schwer atmend unter einem aufsteigenden Gewitter, den bischöflichen Palast auf der Burg betreten wollte, sprach mich eine Frau an, die dort wartend stand.
Sie bat mich, ihr zu einer Audienz beim Bischof zu verhelfen, an den sie ein dringendes Anliegen hätte: Diese Bitte brachte sie so bescheiden vor und glich nach Kleidung und Gehaben so sehr einer ehrbaren Bürgersfrau aus der Stadt, daß ich keinerlei Bedenken trug, sie gegen den Widerspruch des Türhüters mit mir in seiner Fürstlichen Gnaden Vorzimmer zu führen. Dann wurde ich freilich belehrt, daß ich damit gegen ein strenges Verbot verstoßen hätte, weil der Bischof seit einiger Zeit, wohl mit gutem Grund, Bittsteller nicht mehr empfange, es sei denn unter besonderen Umständen. Diese Umstände schienen hier allerdings gegeben, denn trotz seines deutlich geäußerten Unwillens ließ der Bischof erstaunlicherweise die Frau vor, ja, ich hatte den Eindruck, als habe er um ihretwillen das Gespräch mit mir abgekürzt, indem er mich an den
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