0870 - Die rote Hexe
Das war zu Fuß nicht sehr weit entfernt, aber dennoch für jemanden in seinem Zustand ziemlich anstrengend. 20 Minuten zu Fuß waren mit einem Kater und in der hellen Sonne keine Freude. Und außerdem war da für seine Begriffe zu wenig los. So früh am Morgen waren am Rheinufer keine flanierenden Mädchen zu erwarten, stattdessen würden sich wohl hier und da noch qualmende, rostige Blechfässer finden, in denen in der Nacht ein Feuerchen brannte, um den Obdachlosen etwas Wärme zu spenden.
Also wieder zurück in seine Suite, und noch ein wenig schlafen, Restalkohol abbauen? Das war vermutlich das Vernünftigste. Da war zwar noch ein Gebäude nahebei, in dem es Kino, Einkaufscenter und Fressbuden unterschiedlichster Qualität gab, aber er hatte jetzt keine Lust, das alles zu erforschen. Also kehrte er tatsächlich ins Hotel zurück, nahm an der Rezeption von dem italienischen Empfangschef seinen elektronischen Schlüssel entgegen, schritt übertrieben würdevoll an einer Sitzgruppe vorbei, auf deren niedrigem Tisch italienische Tageszeitungen lagen - die Jolly-Hotelkette war Italienisch - und ließ sich vom Lift mehrere Etagen hoch nach oben tragen. Dort musste er sich dank seinem Kater erst einmal orientieren, erinnerte sich schließlich, wo sich seine Suite befand, und zog die Magnetkarte durch das Lesegerät der Tür.
Die öffnete sich mit einem leisen Klicken.
Irgendetwas stimmte nicht, das spürte Karl Ranseier sofort.
Er betrat den Wohnraum.
Und erstarrte.
Er konnte nicht glauben, was er da sah…
***
Frankreich, Château Montagne an der südlichen Loire:
Professor Zamorra hatte gehofft, noch einmal mindestens 24 Stunden in Ruhe schlafen zu können. Seine Gefährtin Nicole Duval und er waren gestern aus Kambodscha zurückgekehrt, wo sie eine bösartige, schwarzmagische Dämonengottheit unschädlich gemacht hatten. Dieser Affengott war vor Ewigkeiten verbannt worden und hatte versucht, sich wieder zu manifestieren. Glücklicherweise hatte Zamorra das aber rechtzeitig verhindern können, doch ganz ohne Blessuren war der Kampf gegen den Dämon nicht abgegangen: Er war völlig erschöpft, und zu Hause hatte er es gerade noch geschafft, ins Bett zu fallen, um dann gründlich auszuschlafen. Der Hunger hatte ihn schließlich geweckt. Verschlafen hatte er eine kleine Mahlzeit zu sich genommen und wollte gerade wieder todmüde unter die Decke kriechen.
Und nun stürmte jemand putzmunter ins Zimmer und landete nach einem weiten Sprung neben ihm auf dem Bett: Nicole!
»Bist du wahnsinnig?«, stöhnte Zamorra. Der Anblick ihrer pinkfarbenen Perücke ließ ihn seine Augen, die er so mühsam geöffnet hatte, gleich wieder erschöpft schließen - auch wenn seine Gefährtin ansonsten einen wie immer überaus erfreulichen Anblick abgab. »Lass mich doch schlafen, verdammt!«
»Du hast schon zwanzig Stunden hinter dir«, behauptete Nicole. »Das müsste doch allmählich reichen! Außerdem hast du Post bekommen.«
»Von wem?«, seufzte Jer Dämonenjäger, ohne sie anzusehen. »Ist es wenigstens interessante Post?« Er öffnete die Augen wieder und sah ihr ins Gesicht. Langsam wurde ihm klar, dass Nicole ihn nicht weiterschlafen lassen wollte. Dabei war er doch noch müde, so müde…
»Ein gewisser Karl Ranseier.«
»Sagt mir nichts«, murmelte Zamorra knurrig.
»Vor etwa sieben Jahren ist uns der Name schon mal begegnet«, sagte Nicole. »In den Albaner Bergen, südlich von Rom, wurde ein Privat ermittler namens Carl Ranseier in einer Höhle von einem unfreundlichen Monster totgebissen.«
»Pech für ihn. Lässt du mich jetzt endlich weiterschlafen?« Weder war er im Moment in der Lage, noch wollte er sich an den Vorfall erinnern. Er war einfach nur müde.
»Aber verstehst du nicht?«, drängte Nicole. »So, wie es aussieht, hat der Tote dir eine E-Mail geschickt.«
»Meinetwegen auch einen Emil. Mir egal. Und jetzt will ich endlich schlafen!« Er drehte ihr den Rücken zu und reagierte auf nichts mehr.
Nicole gab auf und verließ Bett und Zimmer. Zamorra war bereits wieder eingeschlafen…
***
Irgendwann erwachte Zamorra wieder. Vorsichtshalber verzichtete er auf einen Blick zur Uhr. Was die ihm anzuzeigen hatte, wollte er gar nicht erst wissen. Er schlich sich ins Bad, erfrischte sich mit einer Dusche und kehrte kurz ins Schlafzimmer zurück, um sich nach einem prüfenden Blick in den Kleiderschrank luftig anzuziehen. Dann suchte er, schon wesentlich munterer als zuvor, den Frühstücksraum des Château
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