Hexen Kuss. Liebes-Zauber - Leidenschaft des Blutes
weiß was noch beschäftigt hatte. Er war mir unsympathisch. Der Wicht schaute gewichtig auf die Unordnung und machte sich bedeutungsvoll Notizen in ein ledernes Büchlein. Das an der Gurkennase klemmende Monokel ließ sein dahinterliegendes Auge irrsinnig groß wirken.
„Unglaublich!“, rief irgendwer.
Ich schaute von meinem neusten Zahlengerüst auf. Die Worte waren dem Gesandten des Zaren entglitten, der immer noch studierend in dem Sessel saß.
„Das konnte nur ein mathematisches Genie entwickeln!“ Jetzt hielt er den Papierpacken vor sich wie ein Porträt. Fast wollte er es küssen.
„ Mein Gott!“, ertönte nun die Stimme meiner Mutter.
„ Ja, wirklich!“, sagte der Beamte. „Ihr Sohn ist ein Gott. Ich werde dem Staatsoberhaupt persönlich von ihm berichten.“
Der faszinierte Redner bewertete die plötzliche Bemerkung fälschlich als Begeisterung für seine letzten Worte. Endlich stand er auf und verneigte sich höflich. „Grimm übertrifft selbst Lobatschewski und Pafnuti Tschebüschow! Als ich hörte, jemand habe Poincarés Vermutung bewiesen, habe ich mit einem steinalten Kauz gerechnet.“
„ Es ist es keine Vermutung mehr, sondern ein Fakt“, stellte ich bescheiden klar. „Jede n-Mannigfaltigkeit mit dem Homotopietyp einer n-Sphäre ist zur n-Sphäre homöomorph.“
Der Beamte sprach weiterhin in höchsten Tönen von mir. Wie verbale Goldmünzen regneten die Worte auf mich nieder. Ein wenig schmeichelte mir sein Lob doch. Außer uns beiden verstand aber niemand, wovon wir redeten – oder? Der Gnom mit der großen Nase machte sich weiter eifrig Notizen.
Hingegen hielt sich meine Mutter die Ohren zu. „Schweigen Sie bitte!“, herrschte sie den Boten an.
„In diesem Haus geht es immer nur um Zahlen, Zahlen und nochmals Zahlen!“
Ohne den hohen Gast weiter zu beachten, wandte sie sich an mich: „Du hast seit drei Tagen nichts gegessen! Ich bin in großer Sorge! Du siehst ungesund und blass aus!“
Der Gesandte schwieg verblüfft. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. In fremde Familienangelegenheiten wollte er sich nicht einmischen.
Mir war das natürlich äußerst peinlich. Mama behandelte mich wie ein Kind.
„Mutter, doch nicht vor dem Besuch!“, klagte ich und setzte ein entschuldigendes Lächeln auf.
Das dürre Männchen hatte sich inzwischen bis zu meinem Schreibtisch vorgearbeitet und griff sich kess eine meiner Berechnungen. Er war resistent gegen meinen Charme. Das machte ihn gefährlich.
Seine widerlich lange Nase, die zudem ein dickes behaartes Muttermal neben der Spitze hatte, rümpfte sich dabei wie die eines Schweines. Dieses Organ war erstaunlich. Es zeigte seinen Gemütszustand an und besaß eine eigene Mimik. Angewidert schaute ich auf das Schnüffelspiel. Was fand meine Mutter an diesem hässlichen Kerl? Hatte der sie hypnotisiert?
Doch keiner sollte erfahren, woran ich wirklich arbeitete. Deswegen drehte ich die oberen Blätter um und versuchte ihm das Papier aus der Hand zu nehmen. Er wehrte sich, als nähme ich ihm sein Betthupferl.
„Das dürften Sie ohnehin nicht verstehen“, spottete ich.
Die Riesennase ließ jedoch nicht los und betrachtete das Blatt wie ein Beweisstück. Aber für was sollte es ein Indiz sein? Immer energischer zogen wir an beiden Seiten, bis das Papier zerriss. Meine ganze Arbeit!
„Fassen Sie die Sachen nicht an!“, ermahnte ich. „Es reicht, wenn Sie meine Mutter belästigen!“
Dieser verschlugen meine offenen Worte die Sprache. Ihr Antlitz schimmerte zuerst bleich, dann eroberte das Rot die Wangen. Beinahe sah es aus, als wuchsen dort zwei Tomaten. Sie warf dem Besuch einen pikierten Blick zu. Mein Wissen war ihr unangenehm.
Aber das Männchen wiegte nur nachdenklich den Kopf, beobachtete mich durch das Monokel und kritzelte wieder etwas in sein Buch. Seine Nase erschien mir dabei höhnisch gebläht.
Meine geliebte Mutter fand ihre Fassung jedoch rasch wieder und war nun nicht mehr zu bremsen. „Welcher siebzehnjährige Junge hat nur Zahlen im Kopf? Da sollten jetzt Mädchen drin sein! Andere haben in deinem Alter längst eine Freundin oder suchen schon nach einer Braut! Die Mathematik macht dich besessen!“
Der Doktor nickte zustimmend und kritzelte wild in sein Buch.
„Was schreiben Sie da?“, erkundigte ich mich und errötete zugleich.
„ Was schreibst du da?“, konterte meine Mutter mit Blick auf das Blätterchaos. Wenn ihre Augen das Zeug verbrennen könnten, würde meine Stube lichterloh
Weitere Kostenlose Bücher