Alex Rider 02: Gemini-Project: Alex Riders zweiter Fall
Absturz
M ichael J . Roscoe war ein vorsichtiger Mann.
Der Wagen, mit dem er jeden Morgen um sieben Uhr fünfzehn zur Arbeit gefahren wurde, war ein Mercedes mit verstärkten Stahltüren und kugelsicheren Scheiben. Sein Chauffeur, ein ehemaliger FBI-Agent, trug stets eine Beretta, eine handliche halbautomatische Pistole, bei sich und konnte auch damit umgehen. Von der Stelle, wo der Wagen vor dem Roscoe Tower auf der New Yorker Fifth Avenue hielt, bis zum Eingang waren es nur fünf Schritte, aber den ganzen Weg folgten ihm Überwachungskameras. Wenn sich die automatischen Türen hinter ihm geschlossen hatten, wachte der uniformierte Mann am Empfang – ebenfalls bewaffnet – darüber, wie er das Foyer durchquerte und in seinen privaten Lift stieg.
Der Aufzug war mit weißen Marmorwänden, einem blauen Teppich und einem silbernen Handlauf ausgestattet, besaß jedoch keine Knöpfe. Roscoe legte die Hand auf eine kleine Glasplatte. Ein Sensor las seine Fingerabdrücke, prüfte sie und setzte den Lift in Bewegung. Die Türen schlossen sich und der Aufzug fuhr ohne Unterbrechung in den sechzigsten Stock hinauf. Niemand außer Roscoe benutzte diesen Lift und niemals hielt er in einem anderen Stock an. Während er nach oben fuhr, griff der uniformierte Mann am Empfang nach dem Hörer und informierte M r Roscoes Angestellte, dass der Chef gerade auf dem Weg zu seinem Büro sei.
Jeder, der in Roscoes Privatbüro arbeitete, war sorgfältig ausgewählt und überprüft worden. Es war unmöglich, den Chef ohne Termin zu sprechen. Allerdings konnte es drei Monate dauern, bis man einen bekam.
Wenn man reich ist, muss man vorsichtig sein. Es gibt Spinner, Kidnapper, Terroriste n … verzweifelte und arme Irre. Michael J . Roscoe war der Vorsitzende von Roscoe Electronics und stand in der Rangliste der reichsten Männer der Welt an neunter oder zehnter Stelle. Und bei Gott, er war sehr vorsichtig! Seit er auf der Titelseite eines Manager-Magazins erschienen war, wusste er, dass er eine lebende Zielscheibe geworden war. In der Öffentlichkeit bewegte er sich immer schnell, hielt den Kopf gesenkt, verbarg sein markantes Gesicht hinter einer dunklen Brille. Seine Anzüge waren teuer, aber unauffällig. Ging er ins Theater oder zum Dinner, kam er immer in letzter Minute. In seinem Leben gab es Dutzende verschiedener Sicherheitssysteme. Früher hatten sie ihn gestört, doch hatte er sie schließlich zur Routine werden lassen.
Aber jeder Spion oder Sicherheitsbeamte wird einem erklären, dass gerade Routine das Ende beschleunigen kann, da der Feind die Abläufe genau studiert. Routine war es auch, die Michael J . Roscoes unerwartetes Ende herbeiführen sollte, und heute war der Tag, den der Tod sich ausgesucht hatte, um bei ihm anzuklopfen.
Natürlich war Roscoe völlig ahnungslos, als er direkt aus dem Lift in sein Privatbüro trat – ein riesiges Eckzimmer mit Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten und Aussicht in zwei Richtungen boten – im Norden auf die Fifth Avenue und im Westen auf den Central Park. Die übrigen beiden Wände wurden eingenommen von einer Tür, einem niedrigen Bücherregal, und direkt neben dem Aufzug hing etwas verloren ein Ölgemälde. Es zeigte die Sonnenblumen von Vincent van Gogh.
Auf der Glasoberfläche seines Schreibtisches standen nur sehr wenige Gegenstände: ein Computer, ein ledergebundener Terminkalender, ein Telefon und die gerahmte Fotografie eines vierzehnjährigen Jungen. Als Roscoe sein Jackett auszog und an seinem Schreibtisch Platz nahm, betrachtete er das Bild.
Der Junge war blond, hatte blaue Augen und Sommersprossen. Genauso hatte Michael vor vierzig Jahren ausgesehen. Roscoe war jetzt vierundfünfzig. Obwohl er das ganze Jahr braun gebrannt war, zeigten sich die ersten Spuren des Alters. Sein Sohn war fast genauso groß wie er. Das Foto war im vorigen Sommer auf Long Island aufgenommen worden. Sie hatten den Tag beim Segeln verbracht und anschließend ein Barbecue am Strand gemacht. Es war einer der wenigen glücklichen Tage gewesen, die sie miteinander erlebt hatten.
Die Tür ging auf und seine Sekretärin trat ein. Helen Bosworth war Engländerin. Sie hatte vor Jahren ihre Heimat verlassen, um in New York zu arbeiten, was sie noch keine Sekunde bereut hatte. Sie arbeitete jetzt seit elf Jahren in diesem Büro und sie hatte noch nie etwas vergessen oder einen Fehler gemacht.
»Guten Morgen, M r Roscoe«, begrüßte sie ihren Chef.
»Guten Morgen, Helen.«
Sie legte eine
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