Hexenerbe
Eins
Schwarzer Obsidian
Sucht sie, jagt sie, spürt sie auf
Wir wollen sie allesamt vernichten
Sie werden betteln und Gnade erflehen
Wenn wir ihr Blut mit Met vermischen
Schützt uns, Göttin, hört uns schreien
Den Himmel rufen die Cahors an
Schützt uns unter Eurem Segen
Dass uns kein Leid geschehen kann
Der Cathers-Coven: London, im Dezember
Der Coven war auf der Flucht.
Holly Cathers, ihre Cousine Amanda und ihre Freundinnen waren Hexen des Lichts, die sich im Dunkel zu verbergen suchten, im Land des Obersten Zirkels der Hexer, die dem Gehörnten Gott huldigten. Während sie sich in der Dämmerung voranschleppten, vergewisserte Holly sich immer wieder, ob sie auf dem richtigen Weg waren, denn sie hoffte verzweifelt, ihr Ziel und damit eine sichere Zuflucht bald zu erreichen.
Falls es so etwas wie einen sicheren Ort überhaupt gibt, dachte sie verbittert. Noch vor anderthalb Jahren war sie ein glücklicher, ganz normaler Teenager gewesen. Dann hatte das Schicksal grausam zugeschlagen: Ihre Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen und damit einem Fluch zum Opfer gefallen, der alle, die eine Cathers liebten, zum Ertrinken verdammte. Sie hatte zu ihrer Tante ziehen müssen, von der sie zuvor nicht einmal gewusst hatte, und zu deren Zwillingstöchtern, Hollys Cousinen. Und dann war die Hölle losgebrochen.
Holly kannte ihre wahre Abstammung als Letzte einer langen Ahnenreihe von Hexen erst seit wenigen Monaten - sie war ein Nachkömmling des uralten Hauses Cahors. Ihre Familie war in eine jahrhundertealte Fehde mit einem anderen magischen Haus verstrickt, den Deveraux. Jetzt machte Michael Deveraux Jagd auf Holly und ihren Zirkel. Dennoch hatten sie hierherkommen müssen, nach London, wo der Oberste Zirkel der Hexer seinen Sitz hatte. Sie mussten Hollys verschwundene Cousine Nicole finden.
Nach jenem ersten schrecklichen Jahr, in dem Michael Marie-Claire, Amandas und Nicoles Mutter, ermordet hatte, war Nicole geflohen. Die Magie und die vielen Todesfälle hatten sie so geängstigt, dass sie nicht mehr in Seattle hatte bleiben wollen. Sie hatte ihre Familie nur ein Mal angerufen, Monate später, um sie vor großer Gefahr zu warnen und ihnen zu sagen, dass sie versuchen würde, nach Hause zu kommen.
Aber sie hatte es nicht geschafft, denn der Oberste Zirkel hatte sie entführt.
Der Cathers-Coven ging weiter, obwohl alle so müde waren, dass sie nur langsam vorankamen. Holly war mit den Nerven am Ende, erschöpft von dem scheinbar endlosen Kampf, den sie seit Monaten führte. Der Stress forderte seinen Tribut: Sie tat immer öfter Dinge, vor denen sie früher entsetzt zurückgescheut wäre.
Nun versuchten sie, der unmittelbaren Gefahr zu entkommen. Die anderen waren ein wenig von Holly abgerückt, so dass sie sich fast allein durch den geschäftigen Londoner Nachmittag bewegte. Wie die Passanten auf der Straße instinktiv den unter Umhängen und Schutzzaubern verborgenen Hexen auswichen, so mied der restliche Coven instinktiv Hollys Nähe.
Sie haben Angst vor mir, dachte Holly Cathers, während sie und ihr Zirkel die Oxford Street entlangeilten. Angst vor meiner Macht und davor, dass ich wieder die Beherrschung verlieren könnte.
Sie fürchten sich zu Recht.
Ich bin nicht sicher, ob ich mich noch unter Kontrolle habe, Isabeau regt sich in mir, sie treibt mich dazu, dem Mutterzirkel gegenüber ungehorsam zu sein und nach Jer zu suchen. Weil ihr Ehemann Jean sich in ihm manifestieren kann und sie zu ihm will ...
Um ihn zu lieben und zu töten, damit sie endlich ruhen kann.
Warte ab, Ahnfrau. Lass mich erst tun, was ich versprochen habe.
Holly konnte Isabeau beinahe antworten hören: Dann hilf mir, zu tun, was ich geschworen habe: Ich muss meine große Liebe, meinen großen Hass töten.
Ich bin gezwungen, durch Zeit und Raum zu streifen, an diese Welt gefesselt, bis er wahrhaftig tot ist ...
»Nein«, flüsterte sie, biss dann die Zähne zusammen und ging weiter. Isabeau, Hollys Vorfahrin, hatte ihren Mann Jean Deveraux vor sechshundert Jahren verraten und war selbst dabei umgekommen.
Und jetzt lebt sie in mir weiter, dachte Holly bitter. Und Jean lebt in Jeraud Deveraux. Die beiden lassen uns keine Ruhe.
Isabeau und Jean waren verheiratet worden - Schachfiguren im tödlichen Spiel ihrer beider Familien. Es war ihr Untergang gewesen. Jetzt waren sowohl Isabeau als auch Jean dazu verflucht, als Geister durch die Welt zu streifen, bis sie den bösen Schwur erfüllen konnten ... Isabeau
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