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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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und als sie sicher war, dass ihr niemand zuschaute, kletterte sie wie ein Eichhörnchen von einem kräftigen Ast auf die Mauer hinauf. Sie schwang die Beine hinüber und sprang ohne zu zögern. Geschickt landete sie hinter den kalten, feuchten Steinen im Schutz der Büsche, die ein sanftes Rascheln von sich gaben, als sie durch die Zweige strich. Zufrieden mit ihrer unentdeckten Rückkehr huschte sie über den Pfad und verließ zwischen den beiden Haselnusssträuchern ihren geheimen Weg in die Freiheit.
    Doch zu ihrem Schrecken sah sie sich plötzlich Henny gegenüber. Das Dienstmädchen schaute sie nach einem kleinen Aufschrei mit unverhohlener Neugier fragend an. »Fräulein van Campen?«
    »Guten Tag, Henny«, stotterte Demy und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Wie sollte sie der Frau erklären, woher sie kam, ohne ihren Fluchtweg zu verraten?
    Henny tat, als finde sie es keinesfalls eigenartig, dass das junge Fräulein wie aus dem Nichts vor ihr auftauchte. Sie knickste und versteckte ihre Verwunderung hinter für sie ungewöhnlich vielen Worten: »Kann ich etwas für Sie tun? Möchten Sie den Spätnachmittag im Garten verbringen? Ich hole Ihnen gern einen Stuhl, ein Buch oder einen Stickrahmen und eine Erfrischung.«
    »Danke, Henny. Ich gehe hinein.« Demy wollte sich hastig entfernen, überlegte es sich dann jedoch anders und drehte sich nochmals nach der Bediensteten um. Dabei sah sie, wie diese bereits die Zweige der beiden Sträucher auseinanderbog, zwischen denen sie so unverhofft vor ihr aufgetaucht war.
    »Henny?«
    Das Dienstmädchen schrak sichtlich zusammen. »Ja, Fräulein van Campen?«
    Nach einem kurzen Innehalten zog Demy es vor, nicht sofort mit ihrer spontanen Idee vorzupreschen. »Arbeitest du gern hier im Haus?«
    »Selbstverständlich, Fräulein van Campen.«
    »Würdest du die Frage ebenso begeistert beantworten, wenn ich jemand wäre, der nichts mit diesem Haushalt zu tun hat?«
    Hennys Zögern verriet mehr als jede Antwort.
    Demy entschied, den Schritt zu wagen und sich eine Verbündete zu suchen. Diese Henny war noch jung, wohl kaum älter als Lieselotte. Außerdem hatte Demy sie bei mehr als einer Gelegenheit heimlich aus der Bibliothek huschen sehen. Ob das Mädchen gern las oder nach Bildung strebte, konnte sie allerdings nicht mit Sicherheit sagen.
    »Setzt du dich bitte zu mir?«, fragte sie und ließ sich in das kurz geschnittene Gras fallen.
    »Ich hole Ihnen lieber einen Stuhl.«
    »Blödsinn, dieser Rock ist robust. Außerdem saß ich vorhin schon auf einer Wiese, wenn auch im Schlosspark. Nur du solltest auf deine Kleidung achtgeben. Nicht, dass du Ärger mit Frau Degenhardt bekommst.«
    Das Dienstmädchen ließ sich neben Demy nieder, wenngleich sie mehrmals einen ängstlichen Blick zu den Fenstern des Haupthauses hinüberwarf.
    »Ich komme gerade aus dem Schlosspark beim Schloss Charlottenburg. Ab morgen unterrichte ich dort einige Arbeiterkinder.« Nach dieser Offenbarung atmete Demy tief durch und versuchte, das aufgeregte Kribbeln in ihrem Körper zu ignorieren. Sollte Henny ihr wider Erwarten nicht wohlgesonnen sein, könnte Demy sich mit diesem Geständnis erheblichen Ärger einhandeln. Aufs Äußerste gespannt wartete sie auf eine Reaktion ihrer Gesprächspartnerin.
    »Das ist sehr … ungewöhnlich«, lautete Hennys erstaunt klingende Erwiderung.
    »Das weiß ich, Henny. Und genau aus diesem Grund brauche ich deine Hilfe.«
    »Meine Hilfe? Ich kann ganz gut lesen und schreiben. Aber in Rechnen war ich schon immer schlecht und ansonsten …«
    »Ich dachte vielmehr an … an ein bisschen Rückendeckung, damit ich das Anwesen unauffällig verlassen kann oder an Schreibmaterialen herankomme, ohne dass jemand Verdacht schöpft.« Das Mädchen ließ die plötzlich sehr schweigsame Henny nicht einen Moment aus den Augen. Das Dienstmädchen war nicht dumm und kannte sowohl die Gepflogenheiten in diesem Haus als auch die vom Hausherrn eingeforderten und streng kontrollierten Benimmregeln. Ihr musste bewusst sein, dass Demys Bitte nicht ungefährlich für sie war.
    »Es gibt Damen, Fräulein van Campen, die Schulkinder fördern. Sie tun dies auf offiziellem Wege.«
    »Aber auf welche Art und welche Schulkinder? Betrifft ihre Förderung eine Art Stipendium oder Patenschaft für ein begabtes Musikgenie? Oder für eine ausgewählte Schülerin? Ich unterrichte die Brüder einer Freundin aus dem Scheunenviertel; ich will ihnen die Chance geben, später einen guten

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