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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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über die glitzernde Wasserfläche streckten, entdeckte sie ihre Nachbarin Julia.
    Die blonde Schönheit trug an diesem Tag ein schlichtes, doch modisch eng geschnittenes Kostüm mit hochgeschlossener Bluse und einem knöchellangen, dunkelblauen Rock, dessen Samtstoff bei jeder ihrer Bewegungen eine neue Farbnuance offenbarte.
    Die Bauerntochter untersagte es sich, prüfend an ihrem besten, aber dennoch primitiven mausgrauen Rock und der weißen Bluse hinunterzuschauen.
    »Wir sind alle gleich«, flüsterte sie vor sich hin, ehe sie auf Julias unbeschwertes Winken mit einer knappen Handbewegung reagierte.
    »Schön, dass du kommst, Liesl«, begrüßte Julia sie freundlich und wandte sich sofort zum Gehen.
    »Du sagtest, du wüsstest einen Weg, wie ich meine Schulbildung fortsetzen kann?«
    »Bildung ist wichtig, sowohl was den Unterricht im Allgemeinen betrifft, als auch die Möglichkeit, sich über den Fortschritt in der Frauenbewegung zu informieren.«
    Wenngleich ihr nicht ganz klar war, worauf ihre Begleiterin hinauswollte, nickte Lieselotte. Sie beeilte sich, mit Julia Schritt zu halten, begierig darauf, die Menschen kennenzulernen, die Julia ihr in den buntesten Farben als Retter in ihrer verfahrenen Situation geschildert hatte.
    Als sie die Tiergartenstraße erreicht hatten, betraten die beiden Frauen das mehrgeschossige Gebäude des Hauses Nummer 19. Hintereinander stiegen sie die knarrenden Holzstufen hinauf, bis sie vor einer offen stehenden Tür anlangten. Kritisch blickte Lieselotte vom Treppenhaus aus in die Wohnung. Selbst wenn sie sich hier in einem besseren Stadtteil Berlins aufhielten, empfand sie es als mutig, jedem einfach Eintritt zu gewähren.
    Julia trat ohne Scheu ein, nahm ihren Hut ab und legte ihn zu zwei weiteren auf eine Kommode. Während Lieselotte sich im Flur umsah, in dem Papiere, Zeitschriften und Bücher in Stapeln vom Boden der Decke entgegenwuchsen, drangen hinter einer der vom Flur abgehenden angelehnten Türen die aufgeregten Worte einer Frau bis zu ihr.
    »Ich kämpfe doch nicht seit nahezu vierzig Jahren dafür, dass wir Frauen in allen Bereichen des täglichen Lebens, auch in der Politik, mit den Herren der Schöpfung gleichgestellt werden, nur damit …«
    »Frau Dohm, bitte«, wurde sie von einer jüngeren, jedoch nicht so harschen Stimme unterbrochen. »Gleiche Bildung und Ausbildung für Mädchen und Jungen ist nur recht und billig. Dieses Ziel haben wir fast erreicht, aber einzig die ökonomische Selbstständigkeit wird die Frauen aus dem bisher bestehenden Ehegefängnis erretten. Eine gleichberechtigte Partnerschaft ist der einzige Weg, der dem Wert der Frauen gerecht wird. Hach, der Wert …!« Die Sprecherin lachte mit viel Schalk in der Stimme, und auch ihre Gesprächspartnerin fiel mit ein.
    »Das sind Hedwig Dohm und Minna Cauer, Liesl. Ich stelle sie dir gleich vor!«
    Erneut nickte Lieselotte, selbst wenn keiner der beiden Namen ihr etwas sagte. Sie betrat hinter Julia den Wohnraum mit seinem gemütlichen vollgestopften Ambiente.
    Hedwig Dohm war zu Lieselottes Erstaunen eine Frau, die sich bereits den 80-ern näherte. Ihr ergrautes Haar lag in weichen Wellen, und aus dem faltigen, streng anmutenden Gesicht schauten sie große runde Augen mit unverhohlener Neugier an.
    »Grüß dich, Julia. Ist dies das Mädchen, von dem du erzählt hast?« Minna Cauer, Lieselotte schätzte sie rund 10 Jahre jünger als die Dohm, trug ihr schlohweißes Haar züchtig aufgesteckt und unter einer dunklen Haube. Ihre kleine, spitze Nase war das prägnanteste Merkmal ihres schmalen, leicht verbissen wirkenden Gesichts.
    »Ja, das ist Lieselotte Scheffler.«
    Minna lehnte sich in ihrem Lehnstuhl zurück, wobei sie ihre runzeligen, von Altersflecken übersäten Hände in ihrem Schoß faltete. Sie musterte Lieselotte, die nervös ihr Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte, sich aber zwang, den Blick der Frau zu erwidern.
    »Julia sagte, du wollest gerne eine weiterführende Schule besuchen. Lernen, wachsen, nach Höherem streben?«
    »Ist daran etwas auszusetzen?«, gab Lieselotte zurück und erschrak über ihren eigenen barschen Tonfall.
    Als Antwort darauf hob Hedwig die Augenbrauen und hakte nach: »Nur, wenn du es nicht auch tust.«
    »Ich muss weiter«, entschuldigte sich Julia und verließ, wie es Lieselotte erschien, beinahe fluchtartig die Wohnung.
    Unbehaglich verschränkte Lieselotte die Arme vor dem Körper. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Julia sie mit diesen

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