Die Liebe des Wanderchirurgen
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Prolog
D u hast einen guten Tag gemacht, Herr«, sagte Pater Alfredo. Er stand im Eingang der Kathedrale
Santa Cruz
und blickte voller Dankbarkeit in den blauen Himmel über Cádiz. Man schrieb Samstag, den 19 . April 1587 , und es schien ein ganz normaler Wochentag zu sein, wenn man davon absah, dass die Luft verschwenderisch nach Frühling duftete und dass Pater Alfredo Geburtstag hatte.
Er faltete die Hände und fuhr leise fort: »Du meinst es gut mit mir, Herr, sechsundfünfzig Jahre lang hast Du mir ein reiches, erfülltes Leben geschenkt, und ich kann mich an keinen Geburtstag erinnern, an dem das Wetter nicht schön gewesen wäre. Aber ich will nicht hoffärtig sein, wahrscheinlich ist es purer Zufall, dass auch heute die Sonne wieder scheint, sicher hast Du Wichtigeres zu tun, als Dich um das Wetter am Geburtstag Deines geringsten Dieners zu kümmern.«
Er schaute auf das Treiben in den umliegenden Gassen. Das Lärmen der Händler und das Geschrei der Marktfrauen hatte nachgelassen, denn es war bereits Nachmittag, und die meisten Geschäfte waren getätigt. Auch Pater Alfredo hatte ein Gutteil seiner Arbeit erledigt: Er hatte den Tag darauf verwandt, sich auf die Predigt für die morgige Sonntagsmesse vorzubereiten, doch im Gegensatz zu sonst war er nicht recht vorangekommen. Selbstverständlich hielt er seine Predigten auf Latein, was kaum eines seiner Schafe verstand, dennoch sollten seine Worte Sinn machen und nach Möglichkeit auf die Sorgen, die Nöte und die Wünsche der ihm Anvertrauten eingehen.
Er senkte die Augen. »Ich werde zur Strafe für meine unnützen Gedanken nicht wie beabsichtigt ein Gläschen Rioja im
Trocadero
trinken, Herr, auch will ich nicht wie üblich eine halbe Chorizo und ein Stück Ziegenkäse dazu verspeisen, sondern umgehend in Dein Haus zurückgehen. Gewiss wird mir dann mit Deiner Hilfe eine zündende Idee einfallen.« Er hielt inne und sah aus dem Augenwinkel eine prächtige Kutsche vorfahren. Ein Lakai sprang vom rückwärtigen Trittbrett herab, riss die Tür auf und klappte ein Treppchen heraus. Wer da wohl kam?
Pater Alfredo haderte erneut mit sich, denn schließlich hielt er Zwiesprache mit dem Allmächtigen, und nichts auf der Welt durfte ihn davon abhalten. »Vielleicht, Herr, sollte ich Dich während der Predigt bitten, allen Verirrten wieder den wahren, den einzigen Weg zu Dir zu weisen, so wie es im einundachtzigsten Psalm steht:
Weh’ ihnen, dass sie von mir weichen, sie müssen zerstöret werden, denn sie sind von mir abtrünnig geworden! Ich wollte sie wohl erlösen, wenn sie nicht wider mich Lügen lehrten.
«
Ein zierlicher Schuh erschien in der Kutschentür und trat auf die oberste Stufe des Treppchens. Es folgte eine ausladende rubinrote Robe und eine bis zum Ellbogen behandschuhte Hand, die sich ungeduldig dem Lakaien entgegenstreckte. Der Lakai ergriff sie dienernd. Ein Kopf neigte sich heraus, und wenig später wurde ein Gesicht erkennbar. Es war von schwarzen, streng in die Höhe gekämmten Haaren umrahmt und zeigte jene vornehme Blässe, die nur bei Vertretern des Adels vorkam. Die Farbe der Augen war auf die Entfernung nicht festzustellen, doch die Nase wies einen leichten Haken auf, und die grell geschminkten Lippen waren schmal. Insgesamt war das Gesicht nicht schön zu nennen, aber doch apart. Pater Alfredo hatte es noch nie gesehen.
Er betete weiter: »Und die Verirrteste der Verirrten ist, wie Du weißt, Herr, die eitle, gottlose, prunksüchtige Elizabeth von England, die Jungfräuliche Königin, wie sie sich nennen lässt, deren Vater Heinrich schon den Pfad des rechten Glaubens verließ, indem er der allein seligmachenden katholischen Kirche den Rücken kehrte …«
Bei allen Heiligen, die hochherrschaftliche Dame kam auf ihn zu! Pater Alfredo wollte sein Gebet unterbrechen, doch dann besann er sich eines Besseren. Vor Gott waren alle Menschen gleich, und diese Dame musste ebenso wie jeder andere warten, bis er sein Amen gesprochen hatte. Er tat, als sehe er sie nicht, und sprach weiter: »Elizabeth, diese Häretikerin, die mit ihrer Jungfräulichkeit seit Jahren kokettiert, hätte längst dem Werben unseres gottesfürchtigen Philipp nachgeben und ihn heiraten sollen. Doch sie denkt nicht daran. Sie ist dünkelhaft wie ein Pfau und bockig wie ein Esel. Da ist es nur recht und billig, dass unsere Allerkatholischste Majestät eine Armada gegen England rüstet, die sie in die Knie zwingen wird, die sie willens machen wird, ihm als
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