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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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entschlossenen, ja Furcht einflößenden Frauenrechtlerinnen allein ließ. Doch in den folgenden zwei Stunden gaben die beiden Damen ihr nicht nur Hoffnung auf eine qualifizierte Ausbildung, wobei Hedwig betonte, sie selbst habe sich ihr Wissen größtenteils autodidaktisch angeeignet, sondern machten sie auch mit ihren Zielen bekannt. Zu diesen gehörten schon seit mehreren Jahrzehnten das Frauenwahlrecht, der Rechtsanspruch auf gleiche Schulbildung für Frauen und gleichgestellte Entlohnung im Beruf, ebenso wie die Abschaffung des entmündigenden Eherechts und der Anspruch auf gleichberechtigte Erziehungsgewalt der gemeinsamen Kinder, sowie der Kampf gegen Prostitution oder gegen jegliche sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
    Lieselotte, ohnehin völlig erschlagen von dem wechselseitigen Vortrag der beiden betagten Frauen, driftete kurzzeitig in ihre eigenen Überlegungen ab. Ob Minna und Hedwig wussten, womit Julia ihren Lebensunterhalt verdiente?
    Unvermutet schnalzte Hedwig mit der Zunge und riss Lieselotte damit aus ihren Gedanken. »Liebe Frau Cauer, ich fürchte, wir überfordern das arme Kind.«
    »Sie wollten schon immer zu viel auf einmal.«
    »Ich hasste die Bescheidenheit der Frauenbewegung schon in den Siebzigerjahren. Daran hat sich nichts geändert.« An Lieselotte gewandt fuhr Hedwig fort: »Bist du bereit, deinen Weg zu gehen, Lieselotte Scheffler, selbst wenn er steinig ist?«
    »Ja«, erwiderte die Gefragte in aller Einfachheit.
    »Wunderbar!«, merkte Hedwig trocken an. »Eine klare, eindeutige Antwort ohne viel Drumherum. Ich denke, das Mädchen könnte mir gefallen!« Hedwig lachte laut und zwinkerte Lieselotte verschwörerisch zu. »Wir werden sehen, was wir für dich tun können. Und jetzt wollen wir versuchen herauszufinden, was du für uns tun kannst.«
    ***
    Die Sonne war bereits so tief gesunken, dass ihre Strahlen nicht mehr über die hohen Gebäude Berlins reichten. Obwohl der Himmel, von ein paar weißen Federwölkchen abgesehen, noch blau war, breiteten sich in den Straßen der Stadt die ersten Schatten aus.
    Lieselotte fiel das nicht auf. Seit dem Tod ihrer Schwester vor zwei Wochen war diese alles ergreifende Dunkelheit, die seit ihrem Umzug vom Land wie eine bedrohliche Wolke über ihr gehangen hatte, in ihr Herz gekrochen.
    Die Familie Scheffler hatte ein entbehrungsreiches, hartes Leben gegen ein nicht minder schweres eingetauscht, jedoch zusätzlich Hunger und Demütigungen dazubekommen.
    An diesem Tag indes hatte sich etwas verändert. Ein Licht der Hoffnung war in Lieselottes Herzen entzündet worden. Es musste nicht alles beim Alten bleiben. Sie selbst war gefordert, tatkräftig mitzuhelfen, um die Lage der Menschen um sie herum zu verändern.
    Minna und Hedwig mochten zwei alte Damen sein, doch ihre Idee, ihr Kampf, den sie seit Jahrzehnten führten, konnte jungen Frauen wie ihr eine bessere Zukunft bringen. Unterdessen veränderte sich so manches im Alltag der Bürgerinnen: Seit diesem Jahr standen Frauen die regulären Universitäten offen und sie durften sich um eine Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen bewerben, was ihnen bisher per Reichsgesetz untersagt gewesen war.
    Es erschien Lieselotte absolut verständlich, dass den beiden betagten Kämpferinnen das keineswegs genügte – auch sie wollte mehr –, dennoch sah sie das bereits Erreichte als einen Teilerfolg auf dem steinigen Weg der Anerkennung der Intelligenz und der Schaffenskraft von Frauen an.
    Minna und Hedwig gedachten ihr bei der Suche nach Unterstützern zu helfen und sie auf einem der guten Gymnasien Berlins unterzubringen. Lieselotte hatte ihnen von ihrem bisherigen Lebensweg erzählt, und vor allem Hedwig, die publizistisch für die Rechte der Frauen kämpfte, öffentliche Auftritte dagegen scheute, war von ihrer Ausdrucksfähigkeit und Redegewandtheit begeistert.
    Froh über ihre beiden engagierten Förderinnen schlug sie eine der aus der Wohnung mitgenommenen Essays und Zeitungsausgaben auf und begann darin zu lesen: Der Mann hat längere Beine als die Frau, bemerkt sehr richtig Herr von Bischoff. Ein Schlusssüchtiger könnte allenfalls daraus schließen, dass der Mann sich mehr zum Briefträger eigne als die Frau, ihr aber aus diesem Grund die Fähigkeit zum Erlernen des Griechischen und Lateinischen absprechen zu wollen, ist mehr kühn als logisch gedacht.
    Belustigt kicherte Lieselotte in sich hinein. Diese Hedwig Dohm besaß einen herrlich sarkastischen Humor und brachte damit die

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