Himmel ueber fremdem Land
Worte. Beunruhigt schlug er sich mit seinem Armeehut gegen das Knie. Was auch immer mit Udako geschehen war, diese Veränderung hielt sie auf Abstand von ihm. Bei diesem Gespräch konnte demnach nichts Gutes für ihn herauskommen.
In seinem Inneren brodelten Schmerz, Vorwürfe und die heiße Angst hoch, erneut verlassen und verstoßen zu werden, wie Lava in der Magmakammer eines Vulkans kurz vor dem Ausbruch. War es denn nicht genug, dass sein Vater kein Interesse an ihm gezeigt, seine Mutter ihn einfach verlassen und der alte Meindorff ihn zwar in seinem Haus aufgezogen, aber keinerlei Zuneigung für ihn übrig gehabt hatte, ebenso wie seine Gattin? Würde nun die einzige Frau, für die er je mehr als oberflächliche Zuneigung empfunden hatte, ihm den Rücken kehren?
Philippe fühlte sich wieder wie ein kleiner Junge; schutz- und hilflos, und er hasste es! »Na, komm schon. Spuck es aus«, sagte er mit mehr Kälte und Vorwurf in der Stimme, als er geplant hatte.
Seine Begleiterin blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihm um.
Wieder spielte der Wind einladend mit ihrer Kleidung, sodass Philippe kräftig die Zähne aufeinanderbeißen musste, um sie nicht an sich zu reißen oder die Flucht zu ergreifen.
»Momentan kommst du mir vor wie dieser Waisenjunge, den du eben gesehen hast. Er hat sich lange Zeit mit Stillschweigen und Drohgebärden gegen jede Zuneigung gewehrt.« Udako neigte den Kopf leicht zur Seite und musterte ihn nachdenklich. »Ich verstehe dich«, murmelte sie auf sein Schweigen hin, und für einen Moment glaubte Philippe, alles würde wieder sein wie früher. Doch dann wich sie einen Schritt zurück, als müsse sie einen Sicherheitsabstand zwischen ihn und sich bringen, während ihre Augen voller Wärme und Herzlichkeit auf ihn gerichtet blieben. »Du weißt, dass der Herr Missionar oft von dem tiefen Graben spricht, der zwischen Gott und den Menschen besteht? Und von der Brücke, die Gottes Sohn über den Graben schlug, durch das Holz des Kreuzes?«
Philippe nickte und übte sich in Geduld. Was wollte Udako ihm erklären? Die Meindorffs waren eine Familie mit christlicher Tradition. Das, was Udako in den letzten Monaten gelernt hatte, war Teil seiner Erziehung gewesen. Gott, der Schöpfer des Universums, der Heilige Geist als Geber des Glaubens, Jesus Christus als Versöhner zwischen Gott und dessen gefallener Kreatur, dem Menschen. Gottesdienste, kirchliche Feiertage, Taufen, Trauungen, Beerdigungen im Schatten des Kirchturms, all das war ihm nur zu vertraut.
Udako klatschte einmal kräftig in die Hände, wohl, weil sie bemerkte, wie wenig Aufmerksamkeit er ihren Worten schenkte. »Denkst du nicht, du solltest der Frau, von der du behauptest, du liebst sie, zumindest zuhören?«
»Entschuldige bitte, Udako. Sprich weiter.« Breitbeinig und mit im Nacken gefalteten Händen stählte er sich für die Worte, die nun kommen und sein Herz in zwei Teile zerreißen würden.
»Vor ein paar Wochen habe ich verstanden, dass dieser Jesus mich genau kennt und mich meiner Fehler zum Trotz liebt. Er ist auch für mich gestorben und hat für mich den Holzbalken, auf dem er gemartert wurde, über den Abgrund gelegt. Und ich bin hinübergegangen.«
»Das ist doch schön«, sagte Philippe vage und spürte eine Spur von Erleichterung in sich. Das war auf jeden Fall deutlich weniger heikel, als wenn sie irgendwelchen heidnischen Ritualen ihrer Vorfahren nachkommen wollte.
»Ja, das ist es. Ich fühle mich jetzt frei. Frei von dem Zwang, krampfhaft die Vergangenheit festzuhalten, frei von dem Hass auf die Soldaten, die meine Familie auf dem Gewissen haben, und frei von dem Wunsch, mich zu rächen.«
Philippe schwieg betroffen, löste aber die Hände aus dem Nacken. Obwohl er um Udakos traurige Vergangenheit wusste, war ihm nicht bewusst gewesen, welche unheilvollen Gefühle sie gegen die Kaiserlichen Schutztruppen hegte. Ob sie ihm jetzt ins Gesicht sagen würde, dass sie ihn nur als Opfer für ihre Rache ausgesucht hatte, um ihm eines Tages fürchterlich wehzutun? Ahnte sie nicht, dass sie genau das gerade tat, denn kaum etwas konnte ihn so sehr quälen wie der Verlust ihrer Liebe!
Udako verschränkte die Arme vor ihrem Körper, und Philippe wurde den Verdacht nicht los, sie habe ihr Gespräch unterbrochen, weil sie betete. Er respektierte das, wenngleich es ihn auch irritierte. Schließlich straffte Udako die Schultern und sah ihm wieder offen ins Gesicht. »Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein, es sei
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