Himmelsfelsen (Krimi-Edition)
Ahnung, wo wir den Bruder finden?«
»Ja, ich denke schon«, sagte Missler. »Der ist Immobilien- und Finanzmakler, wohnt droben im Stadtbezirk Weiler, hat sein Büro in der Stadtmitte, in der Karlstraße.«
»Na super, wenn Sie das so gut wissen, dann übernehmen Sie das«, atmete Häberle auf und verzog das Gesicht zu einem leichten Grinsen. Man konnte ihm dann einfach nicht böse sein.
Inzwischen waren auch der Lokaljournalist Georg Sander und Polizei-Pressesprecher Uli Stock wieder vom Steilhang zurückgekehrt. Sie hatten bereits erfahren, um wen es sich handelte, aber Sander witterte keine große Story.
Als der Geländewagen durch den gemauerten Torbogen in den Hof des Eybacher Schlosses einbog, stutzte der Mann am Steuer nur kurz. Er war durch das wild romantische Roggental gekommen, so hieß die Landschaft hinter dem Ort. Wenn man am Ortseingang von der Durchgangsstraße abbog, führte sie direkt am historischen Schloss vorbei, das sich hier unterm Himmelsfelsen an den Steilhang schmiegte. Mehr als 200 Jahre war es inzwischen alt, denkmalgeschützt und noch immer von einem Grafengeschlecht bewohnt, das sich rühmte, direkter Nachfahre der Schloss-Erbauer zu sein. Außerdem gab es in der Familie einige bedeutende Kämpfer und Krieger, die seit Jahr und Tag, in Öl gemalt, die hohen Wände der Säle und Korridore zierten. Das Bauwerk, zwei Stockwerke hoch und in L-Form einen Innenhof umschließend, umfasste gut und gerne 50 Zimmer. Bewohnt waren jedoch nur wenige, pflegte Gotthilf Graf von Ackerstein, der 75-jährige Senior des Hauses, immer zu betonen, wenn er danach gefragt wurde. Die meisten Zimmer nämlich waren überhaupt nicht an eine Zentralheizung angeschlossen und deshalb äußerst ungemütlich. Denn selbst an Tagen, wie dem heutigen, sorgte das altehrwürdige Gemäuer dafür, dass keine Hitze eindringen konnte. Investieren wollte die gräfliche Familie, der äußerste Sparsamkeit nachgesagt wurde, ohnehin nur, was unbedingt notwendig war.
Der alte Graf hatte beim Einfahren in den Schlosshof drüben vor dem Rathaus mehrere Einsatzfahrzeuge mit zuckenden Blaulichtern gesehen. Zudem hatten ungewöhnlich viele Menschen den Platz in der Dorfmitte bevölkert. Der Graf gab noch einmal Gas und ließ seinen Wagen über den Kies des Innenhofs rollen.
Sander fuhr noch einmal kurz nach Hause. Er hatte, als die vielen Sirenen durchs Tal gehallt waren, Hals über Kopf die Wohnung verlassen.
Jetzt wollte er noch rasch einen Schluck Kaffee trinken.
Kurz nach neun betrat er dann die Redaktionsräume der ›Geislinger Zeitung‹. Von seinem Schreibtisch aus hatte er einen herrlichen Blick über die Fußgängerzone, die aus dieser Perspektive vom historischen Alten Rathaus und dessen Türmchen dominiert wurde. Sander war um diese Zeit der Einzige in der Redaktion. Seine Kollegen pflegten in der Regel erst später zu kommen. Dafür saßen sie am Abend noch vor ihren Bildschirmen, während er dann bereits durch die Wälder streifte oder sich mit dem Fahrrad über eine der vielen Steigen auf die Hochfläche schindete.
Er liebte die Frische eines Sommermorgens genau so, wie die abendliche Dämmerung, wenn die Sonne tief stand und die Landschaft in ein sanftes Licht eintauchte.
Er schaltete seinen Computer ein und sortierte unzählige handbeschriebene Blätter. ›Altlasten‹, wie er zu sagen pflegte wenn Notizen herumlagen, aus denen irgendwann ein Artikel werden sollte. Die jüngst erfolgte Schließung der städtischen Grünmasse-Sammelplätze hatte kommunalpolitische Wogen geschlagen. Während die Mehrheit des Gemeinderats diese Maßnahme aus Kostengründen befürwortete, hatte sich Stadtrat Daniel Fronbauer immer wieder ganz energisch dagegen ausgesprochen. Aber der, dachte sich Sander, würde am heutigen Tag wohl andere Probleme haben.
Daniel Fronbauer hatte die Klima-Anlage seines Daimlers eingeschaltet. Obwohl es erst kurz vor zehn war, lag eine gewaltige Schwüle über dem Land. Den Termin auf der Heidenheimer Baustelle hatte er inzwischen auch bewältigt. Es war allerdings schwierig gewesen, den dortigen Bauherrn von einer Kostensteigerung zu überzeugen.
Nun war der Immobilien- und Finanzmakler auf dem Weg nach Ulm. Dort wartete ein Kunde, dem er am Telefon einen Vorschlag zu einer lukrativen Geldanlage unterbreitet hatte. Der Mann wohnte im Stadtteil Böfingen, einem Baugebiet aus den späten 60er-Jahren, hoch über der Donau. Die Adresse führte Fronbauer in eine kleine Wohnstraße mit
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