Himmelsfelsen (Krimi-Edition)
20 Kilometer entfernt wohnhaft, war in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geklingelt worden. Dumm gelaufen. Kurz vor Ende des Bereitschaftsdienstes ein Einsatz. Und so wie es aussah, auch noch ein Selbstmord, was er hasst, weil das stets mit großem Aufwand verbunden war. Und diese Geschichte hier in Eybach, davon war er bereits nach den ersten Schilderungen am Telefon überzeugt gewesen, sah ziemlich eindeutig nach einer Selbsttötung aus. Wer würde auch schon in aller Herrgottsfrühe einem Jogger auf dem Himmelsfelsen auflauern, um ihn dann in die Tiefe zu stürzen? Schwachsinnige Vermutung, hatte sich Häberle schon auf der Anfahrt gesagt. Jegliche Lebenserfahrung sprach dagegen. Und er hatte eine ganze Menge davon.
Dass der Tote keine Ausweispapiere bei sich trug, würde zusätzlichen Schreib- und Ermittlungskram nach sich ziehen.
Häberle, ein bisschen jenseits der 50 und ob seiner Leibesfülle oftmals unterschätzt, wenn’s um die Anwendung körperlicher Gewalt ging, ließ sich nichts von seiner Unlust anmerken, als er in Eybach aus dem Dienst-Audi stieg und die uniformierten Kollegen begrüßte.
»Obduktion ist ja klar«, stellte Häberle fest und unterdrückte ein Gähnen. Sein legeres, leichtes Freizeit-Jackett flatterte um den fülligen Oberkörper.
Missler nickte. Er hatte das bereits angeordnet, wie immer, wenn in freier Landschaft ein Selbstmord verübt wurde. Die Staatsanwaltschaft wollte Gewissheit.
Häberle erkannte, dass es nicht zu vermeiden war, sich selbst die Fundstelle des Toten anzusehen und den Frühsport auf sich zu nehmen.
Häberle war bei seinen Kollegen überaus beliebt, weil er kein Schwätzer war und zudem die Ärmel hochkrempeln und selbst zulangen konnte.
Als gebürtiger Göppinger war er lange Zeit beim Stuttgarter Landeskriminalamt gewesen und hatte dort die kniffligsten Fälle gelöst. Nur einen einzigen musste er ungelöst zurücklassen.
»Übrigens, der Chef kommt auch«, hörte er hinter sich die Stimme Misslers.
»Wer, der Bruhn?« Der Kripo-Mann drehte sich im Weggehen erstaunt um.
»Ja, mit dem Hubschrauber der Landespolizeidirektion. Die wollten eh’ einen Übungsflug machen und haben den Chef gefragt, ob sie ihn in Göppingen aufnehmen sollen, damit er sich Eybach mal aus der Luft ansehen kann.«
»Ich denk’, es wär’ wichtiger, Spuren zu sichern, als ein ›Lustflügle‹ zu machen«, murmelte Häberle unmutig. Dann ging er weiter in Richtung des beschriebenen Wanderwegs. Der Bruhn also, dachte er dabei, der ewig cholerische Chef, der keinen Widerspruch duldete, der jeden Paragraphen in- und auswendig kannte, aber im Umgang mit den Menschen oftmals die falschen Töne anschlug.
Während Häberle bereits außer Sichtweite war, hielt auf der Ortsdurchfahrt ein weißer Ford der Mittelklasse an, unbeeindruckt von den Zeichen eines Polizeibeamten, doch weiterzufahren. Der schwarzhaarige und bärtige Mann hinterm Steuer ließ das Seitenfenster nach unten gleiten und rief zu einem der Beamten hinüber: »Was ist denn hier los?«
Der Uniformierte erkannte sofort, wen er da vor sich hatte und begrüßte den Oberbürgermeister, namens Hartmut Schönmann.
»Guten Morgen, Herr Oberbürgermeister. Wir haben es vermutlich mit einem Selbstmord zu tun.«
»Um diese Zeit?« Schönmann verengte die Augenbrauen, ohne jedoch den optimistischen Gesichtsausdruck zu verlieren, den ihm die Bevölkerung stets nachsagte. Der junge Beamte winkte Missler herbei, der das Stadtoberhaupt ebenfalls begrüßte und sich über dessen frühes Auftauchen erstaunt zeigte.
Der Oberbürgermeister erklärte daraufhin, gerade von einer Dienstreise nach Berlin zurückzukommen. Als leidenschaftlicher Autofahrer habe es ihm Spaß gemacht, selbst stundenlang am Steuer zu sitzen.
In dem kleinen Örtchen Stötten, auf der kargen Hochfläche der Schwäbischen Alb gelegen und nur knapp einen Kilometer von dem Steilhang entfernt, der ins Tal von Eybach hinabfiel, hatte die Arbeit der Landwirte schon mit dem Morgengrauen begonnen. In den Ställen brummten die Melkmaschinen, Schweine grunzten und machten sich über ihr Fressen her. Ein strenger Geruch nach Mist und Stall hing in der Luft. Katzen huschten über die leere Straße, Vögel zwitscherten aufgeregt.
Die Landschaft um Stötten herum war von ausgedehnten Wiesen und Äckern geprägt, die hinterm Ort noch weiter anstiegen. Seit geraumer Zeit bereits hatten sich die Landwirte auf Raps-Anbau konzentriert. Jetzt, im Juni, waren die
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