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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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Farsi abgefordert, als die paar Worte, die sie beim Naan-Bäcker oder beim Krämer an der Ecke brauchte. Sie befand sich ohnehin permanent in einem Grundzustand der Hysterie, in dem man nicht mehr sprach, sondern nur noch schrie. Also schrie sie immer sehr laut. Später, als ich sie besser verstand, wusste ich auch, warum: Sie unterhielt sich nicht, sie gab Befehle, die sie ständig wiederholte. Etwa: Alle sollen sich hinsetzen, alle sollen sich hinsetzen, alle sollen sich hinsetzen. Um dann gleich aus der Küche zu schreien: Ich bringe das Essen! Das Essen ist da! Das Essen ist da!
    Oder sie jammerte darüber, dass ihr alles wehtat, sogar das Knochenmark würde schmerzen. Eine andere Art der Kommunikation habe ich nie bei ihr erlebt. Maman hatte fünf Kinder geboren, vier Jungs und ein Mädchen. Mein Vater war der Älteste, danach kamen drei Jungen, von denen zwei in Deutschland studierten und einer direkt nach der Geburt gestorben war. Nur das einzige Mädchen, meine Tante Mahin, die alle außer mir Mahindjun nannten, ist wohl vergessen worden. Sie musste zu Hause bei ihren Eltern bleiben und meiner Großmutter solange beim Putzen und Kochen helfen, bis sich endlich ein Bräutigam aus der entfernten Verwandtschaft ihrer erbarmte und sie heiratete. Meine Großmutter war putzwütig. Sie stand morgens sehr früh auf und putzte sich mit einer Kolonne Dienstboten durch den Tag und schrie mir dauernd irgendetwas zu, das ich nicht verstand. Und schimpfte dann mit meiner armen Mutter, dass ich sie nicht verstand. Meine Mutter entschuldigte sich: »Wenn wir mit ihr persisch gesprochen haben, hat sie nicht reagiert, was sollten wir machen. Wir wollten das Kind nicht sprachlich verwirren und überfordern.«
    Dafür wurde ich jetzt von der gesamten Sippe verwirrt und überfordert. Die ersten Wochen nach unserer Ankunft war meine Mutter panisch besorgt, ich könnte Schmutz ins Haus bringen oder Unordnung hinterlassen und das saubere Haus meiner Großmutter verdrecken.
    Alle außer mir zogen ihre Schuhe an der Tür aus, ich lief einfach mit den Schuhen über die vielen Teppiche, und meine Mutter fing an zu schreien, ich sollte sofort zur Tür gehen und meine Schuhe dort deponieren, wo alle anderen ihre Schuhe deponiert hatten. Mit Schuhen auf die feinen Teppiche zu treten war das Schlimmste, was man machen konnte, sagte meine Mutter, aber Maman tat so, als wäre es in Ordnung. Ich solle ruhig mit Schuhen hereinkommen! Meine Mutter wusste aber, dass Maman das natürlich hasste und sich wahnsinnig ekelte. Dann schrie meine Großmutter hysterisch, ich solle bei ihrem Leben mit Schuhen hereinkommen, sie würde das auch tun, beim Propheten Abbas.
    Sie tat es natürlich nie. Sie zog sich sogar andere Schuhe an, wenn sie auf ihre Toilette ging, die außer ihr und ihrem Mann niemand benutzte. Ich verstand nicht, wieso sie so log. Das war mit vielen Dingen so. Es galt immer das Gegenteil von dem, was gesagt wurde. Und man durfte nie sagen, was man dachte. Nämlich dass man keine Lust hatte, sich jeden Tag wie ein zweiköpfiges Dromedar von der ganzen Familie begutachten zu lassen, sondern lieber in Ruhe allein einen Comic lesen wollte. Man durfte nicht sagen, wir haben jetzt keine Lust auf Besuch, wenn jemand anrief und seinen Besuch ankündigte, weil sie sich angeblich verzehrten vor Sehnsucht, uns zu sehen. Man durfte nicht sagen, wir essen gerade, wenn wir am Tisch saßen und Verwandte einfach klingelten. Wenn man sie wegschickte, wäre das eine unglaubliche Unverschämtheit und würde zu einer lebenslangen Fehde führen, sagte meine Mutter, als ich mich weigerte, meinen Platz am Tisch zu verlassen und mich zu den Gästen zu setzen. Ich fand es unverschämt, ständig Leute zu besuchen, ohne eingeladen zu sein. Und dann auch noch zu erwarten, so bewirtet zu werden, wie es meine Großmutter tat. Es wurde immer sofort, egal wer, wie viele Leute und zu welcher Tageszeit, Tee gebracht und lauter komisches Zeug gereicht. Man durfte nicht sagen, dass man den süßen Sirup, der einem ständig überall angeboten wurde, eklig fand. Dass man grundsätzlich keine Wassermelone aß, und wenn noch ein Einziger einem welche aufdrängte, sofort zu schreien anfing. Dass man Pistazien, Datteln und Türkischen Honig hasste, genau wie alle Gebäcksorten und das klebrige Zeug, das überall in Kristallschalen auf Beistelltischchen lag. Dass man keine Lust hatte, mit den anderen Kindern zu spielen, weil sie langweilig, devot und schlecht angezogen waren.
    So

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