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Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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ohne hineinzuschauen. Und sie sagte lauter als nötig, als würde sie mit jemandem reden, der schlecht hört: »Schauen Sie doch mal, wer Sie besucht.«
    Aus dem Zimmer kam keine Reaktion.
    Geesje und Bossie und ich schauten durch die Tür und sahen einen leeren Platz, wo normalerweise das Bett mit Geesjes Tante stand.
    »Oh«, machte die Frau, als sie das leere Zimmer sah.
    Sie betrachtete den Mantel an der Garderobe, die Dose mit Haarspray und die Vase mit frischen Blumen auf dem Nachttisch, die Glückwunschkarten an einem Band neben dem Fenster.
    Sie trat einen Schritt ins Zimmer und klopfte an die Badezimmertür. Sie erschrak vor der Dunkelheit hinter der Tür. Mit ausgebreiteten Armen drehte sie sich um.
    Wir sahen, wie sie nachdachte. Wir sahen, wie sie dachte: Was soll ich mit diesen Kindern anfangen?
    Sie zog einen Schmollmund.
    »So ein Pech«, sagte sie. »Die Dame, die krank ist, ist beim Herrn Doktor, damit er sie gesund macht.«
    Wir spürten, was sie meinte. Gleich würde sie mit uns hinuntergehen, wir würden eine Limonade mit einem Strohhalm bekommen, damit wir uns ruhig verhielten, und danach würden wir auf einem Stuhl neben dem Büro sitzen und warten dürfen.
    Das war nicht, was wir wollten.
    Wir wollten Nancy finden.
    »Die Dame, die krank ist, hat Krebs«, sagte Geesje. »Sie ist meine Tante, und sie wird nicht mehr gesund.«
    Bossie war ein Kater, der seine Pfote auf eine Maus legte. »Möchtest du dich hinsetzen, Geesje?«
    Geesje nickte.
    »Oh ja, sitzen«, sagte sie mit einem Seufzer.
    Sie lief an der Frau mit dem Betonbusen vorbei ins Zimmer. Sie ließ sich auf den einzigen Stuhl neben dem Nachttisch sinken. Die Pflanze im Topf hielt sie auf dem Schoß, sodass sie dahinter verschwand. Das Papier knisterte.
    »Gib mal her«, sagte Bossie. Er nahm Geesje die Pflanze aus der Hand und sagte, wir müssten dem Geschenk für Geesjes Tante den allerschönsten Platz geben, dort auf der Fensterbank, nein, hier auf dem Tisch. Er sagte: »Eine Überraschung ist schöner, wenn man sie nicht sofort sieht.«
    »Ja«, sagte Geesje. Der Seufzer, den sie ausstieß, zitterte ein bisschen, und ich denke, dass sie es ernst meinte.
    Ich war der Einzige, der noch im Gang stand. Ich faltete die Hände und schaute zu Boden. Ich erwartete jeden Moment, dass die Frau sagen würde: »Und jetzt mitkommen.«
    Mitten im Gang blubberte ein Kaffeeautomat. In einem Zimmer auf der anderen Seite hörte man eine Pumpe saugen und blasen, und in einem anderen Zimmer daneben zischte etwas, als würde ein Fahrradschlauch die Luft verlieren.
    Die Frau sagte: »So.«
    Ich sagte: »Nun.«
    In ihrer Tasche piepte etwas. Erst legte sie die Hand darauf, sie wollte noch etwas zu uns sagen, aber dann holte sie das Piepding heraus und schaute es an.
    Sie machte »Och« und verließ das Zimmer von Geesjes Tante. Schon nach ein paar Metern drehte sie sich um und kam zurück. Sie streckte die Hand aus und deutete auf Geesje und Bossie und mich. Ihre Finger wurden zu einer Faust.
    »Ihr bleibt hier, wo ihr seid«, sagte sie. »Wenn ihr Tamtam macht, könnt ihr was erleben.«
    »Ja, klar«, sagten wir.
    »Verstanden?«
    »Ja, klar«, sagten wir wieder.
    Sie hatte sich kaum umgedreht, da machte Bossie ein grunzendes Geräusch. Er hielt sich die Nase zu, um nicht zu lachen. Er fragte Geesje, was Tamtam sei.
    Ich sagte, Tamtam sei der kleine Bruder von Scheißzeug, und ich deutete mit dem Daumen zum Gang und legte einen Finger auf die Lippen. Die Frau war noch nicht weit genug weg, und sie sah nicht so aus, als hätte sie vor, weit genug wegzugehen. Sie konnte noch immer zurückkommen, um uns mitzunehmen.
    Vor dem Aufzug blieb sie stehen und las die kleinen Buchstaben auf einem Zettel in ihrer Hand. Danach war ihr die Eile am Gesicht abzulesen. Dreimal drückte sie auf den Knopf vom Aufzug.
    Als der Aufzug endlich kam und die Glocke ertönte, konnte sie kaum abwarten, bis alle Leute ausgestiegen waren. Vor Ärger legte sie die Hand über die Augen.
    Pling , klang es endlich im Gang.
    Ich nickte Geesje zu.
    »Die Luft ist rein«, sagte ich. »Nimm die Pflanze.«

DREIHUNDERTZWANZIG
    »Nimm du die Pflanze«, sagte Geesje zu Bossie. »Wir müssen zur anderen Seite.«
    »Und deine Tante?«, sagte ich.
    »Los, vorwärts.«
    Wir wollten alle drei den Topf mit der Pflanze halten. Wir ließen nicht los. Wir waren froh, dass wir auf diese Art dicht nebeneinanderbleiben konnten.
    Erst schoben wir uns allzu vorsichtig zum Gang des anderen Flügels.
    »So

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