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Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Geesje dann.
    Manchmal antwortete sie schnell: »Der Schmied schmiedet, und der Bäcker knetet.« Oder: »Ich habe Eisen im Mund und Nägel im Nacken, wer bin ich?« Oder sie dachte sich einen anderen Blödsinn aus, über den Bossie und ich lachen mussten.
    Eigentlich war ja nichts Witziges dran, denn wenn niemand deine Sprache spricht und du niemanden verstehst, muss sich das anfühlen, als ob du auf dem Mond herumläufst.
    Die Stapel im Innenhof betrachtete ich wie Suchbilder in der Zeitung. Suche die zehn Unterschiede.
    »Das blaue Fahrrad ist weg«, sagte ich nach einer Weile.
    »Das blaue Fahrrad?«, sagte Bossie.
    »Das dort gelegen hat«, sagte ich und deutete auf die Stelle neben dem Tandem, das schon sehr lange da stand.
    »Die alten Eimer von der Feuerwehr«, sagte Bossie. »Die sind neu, denke ich.«
    »Neu gewesen«, sagte ich.
    Geesje schnaubte. Sie schüttelte sich von oben bis unten, als müsste sie alle Gliedmaßen an den richtigen Platz schütteln.
    »Ihr macht immer die gleichen Witze«, sagte sie, ohne den Kopf zu heben.
    Bossie und ich schauten uns an und zogen die Augenbrauen hoch. Wir hatten Geesje noch nie so schlecht gelaunt erlebt. Wir dachten, dass es ihrer Tante vielleicht nicht gut ging.
    Wir schwiegen.
    Die Stille nahm viel Platz ein und viel Zeit.
    Durch die Sandstraße fuhr der Eiswagen. Nach seinem Gedudel, das die Kunden anlocken sollte, konnte man tanzen. Auch wenn der Wagen längst nicht mehr zu sehen war, hatte ich die Melodie noch immer im Kopf.
    Die Hitze machte unsere Welt klein. Uns fielen fast die Augen zu, so heiß war es.
    Geesje las die ganze Zeit. Kurz vor dem Zwei-Uhr-Schlagen legte sie ihr Handtuch an den Rand der Mauer. Sie kniete sich hin und benutzte die Mauer als Lesepult für ihr Buch. Eine Weile kniete sie da, den Kopf in den Händen, und starrte vor sich hin.
    Wir lauschten alle drei den Glockenschlägen. Dingdong.Zweimal.
    Glocken geben nie nur an, wie spät es ist. Glocken singen. Im Sommer kann man ihnen anhören, ob die Luft sauber ist. An einem Wintermorgen kann man meiner Meinung nach mit geschlossenen Augen abschätzen, wie dick der Schnee gefallen ist, falls es geschneit hat.
    Unsere Glocken ließen uns verstehen, dass wir noch vier Stunden Geduld aufbringen mussten. Vier lange Stunden, bevor Nancy und Jeckyll vorbeikommen würden.
    Jeckyll lief schon in meinem Kopf herum. Seine Krallen kratzten über den Bürgersteig. Nancy sah ich noch nicht. Nancy wollte nirgendwohin, auch nicht mit einem Spazierstock.
    Ich sagte zu Geesje und Bossie, dass ich Nancy und Jeckyll vermisste.
    Der Klang der Glocke versank in der Luft und wurde immer leiser, bis nichts mehr zu hören war. Kein einziges Geräusch. Es war, als würde die Welt ein paar Sekunden lang stillstehen.
    In diesem Moment, ausgerechnet in diese Stille hinein, sagte Geesje, was sie die ganze Zeit zurückgehalten hatte. Sie klappte das Buch zu, drehte sich zu Bossie und mir um und sagte: »Ach ja, bevor ich es vergesse, ich habe Nancy gesehen.«
    Bossie und ich warteten mit dem Atmen.
    »Nein«, sagte Bossie.
    »Doch«, sagte Geesje.
    »Wo?«, sagte ich.
    »Im Krankenhaus.«
    »Nein.«
    »Wann?«
    »Gestern Abend, als wir im Krankenhaus ankamen. Wir standen zufällig im falschen Flur.« Geesje wartete einen Moment, bevor sie Bossie und mich wieder anschaute. »Da habe ich sie gesehen.«
    »Und sie lebte noch?«, sagte ich.
    »Sie lebte noch«, sagte Geesje.
    »Und das sagst du jetzt erst«, sagte Bossie.
    »Ja«, sagte Geesje. »Jetzt erst. Ihr hattet ja viel zu viel zu tun, und ich habe meine eigenen Sorgen.«

DAS KRANKENHAUS
    Wir überlegten uns einen Plan, für den wir ein Geschenk brauchten. Bei Geesjes Mutter liehen wir uns einen Topf mit einer Pflanze von der Fensterbank. Wir packten ihn in grünes Papier und wickelten ein Band darum. Wir liehen uns auch Geld aus der Haushaltskasse und nahmen den Bus Nummer 34 zum Krankenhaus.
    Geesje wusste den Weg, aber wir kamen nicht weiter als zum Schalter. Eine Frau hielt uns zurück und sagte, wir seien drei Kinder und dürften nicht allein nach oben. »Wen wollt ihr denn besuchen?«
    Geesje sagte: »Meine Tante.«
    So mussten wir also hinter der Frau herlaufen.
    Sie bewegte sich geräuschlos. Sie lief auf Pumps und hatte einen Busen aus Beton. Die Leute, die aus der Gegenrichtung kamen, machten ihr, ohne etwas zu sagen, Platz.
    Neben einer offenen Tür am Ende eines langen Gangs im dritten Stock blieb sie stehen. Sie deutete mit einer Hand auf ein Zimmer,

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