Hinter der Milchstraße - Roman
ob ich etwas im Haus hörte.
Oben schaute ich um die Ecke in die Schlafzimmertür, ob Papa vielleicht noch im Bett lag, aber das breite Bett war leer, und der Überwurf war darübergebreitet.
Im Badezimmer zog ich die Schuhe und das Hemd aus. Ich verhedderte mich in den Ärmeln, weil ich vergessen hatte, Phyllis’ Kästchen abzustellen.
Das Hemd wusch ich mit Seife aus dem Seifenspender. Die Seife roch nach Äpfeln. Meine Schuhe machte ich nur oberflächlich sauber. Trotzdem waren meine Strümpfe und meine Hose und meine Unterhose schon bald nass gespritzt. Ich hätte sie genauso gut anlassen und in die Badewanne steigen können. Ich wollte frisch bis auf die Haut sein, also zog ich alles aus und seifte mich von oben bis unten ein.
Das Gesicht hielt ich am längsten unter den Wasserhahn. Die Kälte war schneidend. Die Gänsehaut überzog mich vom Hals bis zu den Armen.
Ich trocknete mich ab, aber trocken wurde ich nicht. Der Schweiß hing schon wartend in der Luft.
Ich lief in Bossies und mein Zimmer und suchte einen passenden Platz für Phyllis’ Kästchen. Erst stellte ich es auf meinen Nachttisch. Da hatte ich es zu wenig für mich allein. Ich stellte es unten in den Nachttisch.
Ich zog eine Unterhose an und suchte Kleidungsstücke zusammen.
Von den Schuhen fand ich nur den rechten, der linke lag tief unter Bossies Bett, zwischen den Jahrgängen von So geht das und halben Raumschiffen und zusammengeknüllten Taschentüchern.
Ich musste mich der Länge nach auf den Boden legen und mit ausgestrecktem Arm unter dem Bett fischen. Ich schrammte mit der Wange über den Teppich, weil ich zu ruckartig zurückwich.
Direkt vor meiner Nase lagen Mamas Briefe.
Eine ganze Weile verharrte ich steif neben dem Bett, Augen und Mund aufgerissen wie ein Fisch auf dem Trocknen.
Erst traute ich mich nicht, das rote Band um die drei Umschläge aufzuknoten. Sie hielten Mamas Worte zusammen. Nicht auszudenken, wenn sie auseinanderfielen.
Meine Finger wurden sehr langsam.
Vorsichtig drehte ich die Umschläge um, einen nach dem anderen. Auf der Vorderseite klebten große Briefmarken mit einem Foto von einer Ruine, einem Springbrunnen und einem Teller Tomaten.
Bossie und ich hatten sehr schöne Namen, wenn Mama schrieb.
Ich brauchte die Briefe nicht aus den Umschlägen zu holen, um zu hören, wie Mama fast nichts erzählte. Sie schrieb dreimal über das Wetter und dreimal über die Farbe des Himmels, wenn die Sonne unterging. Über die Sonne selbst sagte sie, sie würde zischen, wenn sie das Wasser berührte. Das Meer nannte sie den Golf.
Manchmal schien es, als meine sie, wir wollten wissen, wie es in Italien war. Sie beschrieb, wie man Pasta essen musste, nur mit einer Gabel, ein andermal erzählte sie, was man tun musste, um keinen Sonnenstich zu bekommen, wenn die Sonne wieder einmal glitzernd über dem Golf hing.
Wir wollten lieber wissen, wie es ihr ging, aber darauf antwortete sie nicht. Stattdessen stellte sie dumme Fragen. Ob wir einverstanden waren, dass sie noch ein bisschen dort blieb. Sogar wenn wir ihr mit Ja antworten wollten, wussten wir nicht, wie wir es anstellen sollten. Wir hatten keine Adresse, um ihr zurückzuschreiben.
Sie machte Witze.
Welches Sahneeis kann singen?
Stracciatellalalala.
Wir konnten nicht darüber lachen.
Sie schrieb einen Satz, der mich zum Weinen brachte. Der Satz kam unterwartet, ganz zuletzt.
»Seid ihr stark?«
Ich wickelte das rote Band wieder um die Briefe und atmete tief.
Hinter mir knarrte das Haus. Es war die Treppe, die von selbst Lärm machte. Holz lebt nicht nur nachts. Ganz kurz schoss es mir durch den Kopf, dass es Mama war, die die Treppe heraufkam.
Das machte die Stille im Haus schlimmer als zuvor.
Die Briefe legte ich wieder dahin, wo sie gelegen hatten, unter das Bett.
Als ich hinunterkam, fiel sehr viel Sonnenlicht auf den Küchentisch und den Fußboden. Auf dem Weg nach draußen trat ich darauf.
Ich sah einen Zettel auf der Anrichte liegen, den ich vorhin übersehen hatte. Aus der Form von Papas Großbuchstaben versuchte ich, den Ton herauszufinden. Da stand: Jungs! Bleibt zu Hause, wenn ihr das lest.
DER RHODODENDRON
Ich lief in die Milchstraße hinein und über die Grünanlage. Am Ende des Wegs neben der Kirche wusste ich nicht, ob ich geradeaus gehen oder nach links abbiegen sollte. Aber dann dachte ich an Geesje, wie sie letzte Woche hinter Bossie und mir hergelaufen war, und mir fiel wieder ein, welche Richtung ich einzuschlagen hatte.
Vor
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