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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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und die wenigen, die hergekommen waren, hielten sich zurück mit dem Trinken, und
     es gab auch keinen einzigen Mann, der vom Barhocker herunterfiel. Der Clubbesitzer trug einen Dissidentenvollbart, und auf
     seinem Kopf lag eine Melone auf, sie war zwei Nummern zu klein. Er versuchte sein Glück bei ihr, sie blieb gleichgültig. Da
     schlug er seine Melone an seinem Jackett ab, ein kleiner Wutanfall, der verging.
     
    Der Zwergenzorn war schlimmer, es war schlimm, den Zorn der Zwerge zu erregen, sie hatte die Närrchen bislang nur ein einziges
     Mal gegen sich aufgebracht: Sie hatte bei einem ihrer Spaziergänge einem Erdkerlchen die Kappe vom Kopf gerissen, es summte
     sofort auf vor Schmerz, denn es konnte ohne Kappe nicht verschwinden im Loch, es wäre verloren gewesen in der Wildnis des
     Gesindels. Das Gesindel lebte in der Oberwelt, und die Daumenköpfchen lebten in der Unterwelt, in der kalten Zeit aber hingen
     und streckten sie sich, in der Hoffnung auf einen Zuwachs von einem Fingernagel Größe. Die, die nicht schon oben waren, krochen
     durch die engen Stollen heraus und ließen sich von dem Unbekappten erklären, daß er in seiner Gymnastik nicht ungeschickt
     vorgegangen war – ihn traf keine Schuld. Die Frau, nein, der linke Fußknöchel der Frau hatte ihn angerempelt, der böse Knöchel
     ragte aus dem Wanderschuh heraus, nein, da war ein Loch im Schuh. Wer hatte Schuld auf sich geladen? Die Frau. Oder der Knöchel.
     Oder der Wanderschuh. Oder das Loch. Ja, das Loch. Wie rächt man sich an einem Loch? sagte der Meister der Unterirdischen,
     ist es da, oder ist es nicht da? Wenn ichden Finger, diesen Finger (Er zeigte ihnen allen seinen rechten Zeigefinger, dem die Kuppe fehlte, weil er eine Käsereibe
     mit einer Rutsche verwechselt hatte), in die Erde stecke, kann ich den Finger zurückziehen, aber nicht das Loch. Das Loch
     bleibt da, wo es ist, ich kann es nicht mitnehmen und meinem Weiblein zeigen wie ein angenagtes Kleeblatt, worüber mein Weiblein
     sich freuen würde, weil wir beide weiternagen würden an dem Blatt … (Er führte diesen Gedanken in vielen vielen Schleifen
     aus, seltsamerweise lauschten ihm die Zwergeandächtig. Wir merken uns: Die Abschweifung ist für die Närrchen fast so wichtig
     wie das Verwispern der Träume wildfremder Menschen.) Sie standen eng beieinander, und jeder von ihnen hatte im stillen geschworen,
     keine Geste der Besänftigung zu erkennen, und die Beeren in ihren zweifäustegroßen Kammern, die Beeren, die sie gesammelt
     hatten in der Stunde des trübsten Mondscheins, die leckeren giftigen Beeren, die die Menschen umbrachten, diese Beeren also,
     von denen der Meister sprach, nicht ohne sich über die dicke herabhängende Unterlippe zu lecken, diese Beeren würden sie essen
     nach ihrem Feldzug gegen das tückische Schuhloch. An einem geflickten Strumpfloch konnte man sich rächen, man nagte an dem
     Garn, man rupfte den Flicken ab, und schon brachte man die Socke dazu, sich zu schämen. Die Zwerge fauchten wie kleine Gauner,
     und als wäre das alles nicht schlimm genug, rief die Eule, und da gerieten sie in Aufruhr, und weil sie fast verrückt wurden
     (Der Zwerg ist ein Rätsel. Der Zwerg haßt das Rätsel), versuchten sie, sich zwischen den Schuppen der Tannenzapfen zu verstecken.
     Doch vergebens – der Kopf paßte hinein, der Bauch ragte heraus. Also hüpften sie über das Bachbett und trampelten fast die
     ganze Nacht vor der Hausschwelle der Frau, sie fiepten und piepten, sie sollte ihnen das elende Loch übergeben, sie verfügten
     über mehr Zauberkraft als der Wanderschuh.
    Sie wachte auf vom Lärm der kleinen Leute, sie blieb liegenund verwarf den Gedanken, sich auf Zehenspitzen zur Tür zu schleichen und sie plötzlich aufzureißen, sie hätte die Närrchen
     zu Tode erschreckt. Da schrie einer immer wieder ein Wort, ›Plupp‹ oder ›Plipp‹ oder ›Papperlapapp‹ oder ›Plopp hopp‹ – sie
     konnte ihn nicht richtig verstehen, sie spürte nur die große Erregung, sie hörte nach jedem Wort oder Satz des Schreiers die
     Hurrarufe und das drauffolgende Trampeln. Bald hielt sie es nicht mehr aus in ihrem Bett, sie ging leise zu einem schattigen
     Winkel des Nebenzimmers, setzte sich auf den Malhocker und schaute auf die aufgebrachten Rotmützchen: Ein Schimmer glühte
     um ihre Köpfe, Moos klebte an ihren Ohrläppchen. Sie steckten in schwarzen Pelzpantoffeln, sie waren ordentlich angezogen
     und nicht zerlumpt. Der Brustlatz war

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