Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
gebannt die Wand anstarrten. Sie witterten eine Unterirdische, peitschten einige Male mit dem Schwanz
     und dösten langsam ein. Da sprach das Moosfräulein: Unser Hausrat ist aus Silber, und ich wohn’ mit mei’m Männlein unterm
     Holunder. Wir lieben diese Grube als Aufenthalt. Man darf bei uns nicht pfeifen, nicht in den Stollen, nicht in der Kammer,nicht wenn wir seelenruhig herabhängen. Wer pfeift, will uns sagen, daß wir Mücken sind, im Vergleich zu euch Menschen. Wir
     blasen den Pfeifer an, wir blasen ihm ein geschwollenes Auge. Dem, der uns Übles will, drehen wir den Kopf um.
    Es war vielleicht der passende Augenblick, um ihre Verblüffung zu zeigen, oder von Frau zu Frau zu reden, doch sie schaute
     ihm nur dabei zu, wie es das trockene Moos von der Schürze abklopfte, es stellte sich aber sehr ungeschickt an, und nun zierten
     dunkelgrüne Streifen das lange Kinderhemd. Sie hatte es also nicht mit einem grimmigen Gnom zu tun, sie war erleichtert, sie
     mußte sich mehr Kenntnisse über diese etwas täppischen Menschmäuse aneignen. Ich werde angemaunzt von Katzen, dachte sie,
     ich werde angebellt von Dackeln, und ich werde angefaucht von Zwergen, die Grimmigkeit wandelt sich aber schnell in etwas
     anderes Freundliches. Hatte sie die Fingerhüte aufgefüllt? Ja. Stattete das Weiblein einen Hausbesuch ab ohne arge Gedanken,
     oder war sie vorgeschickt worden, um sie abzulenken? Und die Erdkerlchen würden die Posaunen des Zorns blasen, über den großen
     Graben strömen und sie niedertrampeln. Wie brachten Zwerge einen Menschen zu Fall? Sie bliesen ihm die Betrunkenheit ein.
     Und wie wehrte sich ein Mensch gegen das Zwergengetümmel? Das Weiblein hatte es ihr verraten, sie mußte einfach nur pfeifen.
     Und da ging ihr auf, daß man ihr dies Geheimnis verriet, weil man nicht wollte, daß sie sich vor ihnen verbarg.
     
    Genau in diesem Augenblick, da ihr vor Rührung die Tränen in die Augen traten, kam durch die Tür der Komponist, gefolgt von
     einer Frau, die sie nie zuvor gesehen hatte. Oder doch?
    Edita fand es unheimlich, in dem Waldhaus dieser sonderbaren Frau zu sein, was hielt sie ihre flache Hand hoch? Wieso ging
     ihr Blick zwischen ihr und der Hand hin und her? Sie hatten sie erschreckt, das war offensichtlich. Sie sagte also:Als Kind liebte ich Experimente, Antonin weiß es, wir sind nämlich zusammen in derselben Klasse gewesen, und er fand, daß
     es Ihnen nichts ausmacht, wenn er mich mitnimmt. Ja, die Experimente. Ich habe einmal einen Dorsch mit Salz eingerieben und
     in Gipsmullbinden eingewickelt, dann habe ich den Dorsch in meine Duschwanne gelegt. Dort lag der Fisch wochenlang. Als ich
     wußte, der Dorsch hat genug, malte ich ihn blau-gold, also in den Farben der Pharaonen, an. Verstehen Sie? Ich wollte nachvollziehen,
     wie das Mumifizieren funktioniert …
    Die Frau setzte sich daraufhin auf den Hocker neben dem alten gußeisernen Ofen, schlüpfte aus ihren Straßenschuhen heraus
     und in dicke Wollsocken hinein, die an der Ferse und am großen Zeh geflickt waren, der grobe Übergang von Wollstrumpf zur
     Nylonstrumpfhose faszinierte Edita, und dann wandten sich beide Frauen wie auf ein Zeichen zu Antonin um, der am Fenster stand
     und auf Geräusche im Wald horchte. Da draußen schlichen kleine Tiere herum, und sie raschelten bei der Futtersuche, Stille
     fand sich nicht in der bezähmten Wildnis, man konnte hier aber bestimmt in kleinem Maßstab glücklich sein. Man konnte sich
     hier kleine Verletzungen zuziehen. Die Wunden verheilten schneller als in der Stadt.
    Die Frau verkündete mit lauter Stimme, daß sie Quittensaft auf Vorrat gekauft hätte, und wenig später tranken sie alle den
     süßen Saft, die beiden Katzen strichen um ihrer aller Beine herum, und weil sie es müde wurden, einem Mann und zwei Frauen
     beim Trinken zuzuschauen, ließen sie sich auf die Seite fallen und waren bald eingeschlafen. Antonin entschuldigte sich für
     die späte Störung, begann dann aber über seine Unruhe zu sprechen, erst in stockenden Worten, es kostete ihn keine große Überwindung,
     über die dunklen Tage zu kommen, nur diesmal wäre es anders, die Wandervögel kehrten zurück, alle Freunde und Bekannten würden
     schon bald in die nächste Jahreszeit springen wollen, nur er. Nur er, nurdiesmal. Er käme sich vor wie ein Lakai, der in seiner engen Dienstbotenkammer auf der Bettkante sitzt und die Zeit mit Stieren
     und Nagelpolieren verbringt, um dann endlich vor die

Weitere Kostenlose Bücher