Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
manchmal auf die Mützen der Wichtel, die flüstern mit dem
     Wind, die zucken mit dem verschreckten Wild, die kräuseln die Nasen.)
    Die Nase. Das Näschen. Das Näschen der neuen jungen Frau ihres Mannes. Sie lernte also, am Waldesrand zu wohnen. Sie lernte
     also mit der Fusselrolle über ihren Pullover zu fahren, und sie riß den katzenhaarbeklebten Streifen ab und warf ihn in den
     Mülleimer und trank erst dann ihre erste Tasse Kaffee. Jeden Morgen.
    Die Bauern – das waren die Männer, deren Väter und Großväter Bauern gewesen sind – gewöhnten sich langsam an die Zugezogene,
     und sie wunderten sich über eine Städterin, die kein Rouge auflegte und sich auch sonst etwas seltsam benahm. Sie reichte
     ihnen eine Eisdose aus Plastik, sie wollten schon nach den Löffeln fragen, und da sahen sie die Kümmelkäseplätzchen und erstarrten.
     Schickte es sich für sie, die Söhne hartleibiger Bauern, Damenhäppchen zu essen und so zu tun, als fügten sie sich den neuen
     Sitten? Einige Augenblicke lang rieben sie die verstoppelten Wangen und waren still. IhreBlicke fielen auf die alte Kleekarre in ihrem Garten, die Speichen hatten sich von der Radnabe gelöst und standen nach allen
     Seiten ab. Im Beet lagen Hacke, Gabel, Rechen ohne Stiel und eine verrostete Bügelgießkanne, mit Glas- und Topfscherben war
     die winterstarre Erde eingegrenzt. Was sollten sie machen? Sie aßen die Plätzchen, und als die Frau nach den sonderbaren kleinen
     Rotmützenträgern fragte, hielten sie mitten im Kauen inne und starrten in den Wald und machten sich Sorgen wegen des trockenen
     Bachbetts: Die Fingerhutmännchen konnten ohne Mühe den Graben überwinden und die Träume der Frau verwispern.
    Sie zogen ab, und die Frau schaute ihnen hinterher, vier Bauernsöhne in aufgeknöpften Wolljacken, die Kälte konnte ihnen nichts
     anhaben, sie würden im Wirtshaus über sie reden, und wahrscheinlich nannten sie sie ›die mit den Katzen‹. Ich sollte meine
     ganze Hoffnung darauf setzen, hier in Maßen zu verwildern, dachte sie, ich hätte das Recht, diesen Mann, der mir das Waldhaus
     überlassen, aber nicht geschenkt hat, zu verklagen.
     
    In wenigen Jahren war dieser Mann in die besseren Kreise aufgestiegen, er war gescheit, er war nicht häßlich, und er kam von
     der Kultur – als Programmdirektor im Rundfunk lernte er, sich vorzusehen: vor den Wetterumschwüngen und vor den Frauen, die
     in der neuen Zeit neue Kleider trugen; nur ganz wenige trauten sich, noch in weiten Miniröcken herumzulaufen, wie es im roten
     Krämersystem Mode gewesen war. Ein Wunder wie die Totenerweckung konnte er nicht vollbringen, er konnte aber schweigen und
     loben, und so machte er sich einen Namen als ein Mann, der junge Talente förderte und eine Richtung vorgab. Nichts davon war
     wahr. Er entschied, daß er den hübschen gestiefelten Frauen nachschauen durfte, die Ehe hielt, seine Ehe ging ihn doch nur
     dann etwas an, wenn er in die gemeinsame Wohnung zurückkehrte.
    Hier die Frau, die begann, Farbe abzugeben an die Räume, an die Möbelstücke, an die Tapete. Hier seine Frau. Hier seine Frau,
     die keine Maßnahmen ergriff gegen die Abzehrung. Hier eine Frau, die den breiten roten Hüftgürtel nicht mehr trug, hier eine
     kleine Belastung. Wie konnte man das werden, was sie war: Nur ein hübsches Gesicht, mehr nicht? Dann stieß er sich die Stirn
     beim Duschen am Wassermischerhebel, der Schmerz kam und ging, und die Gewißheit setzte sich in ihm fest, daß er in ihrer Nähe
     zum Tolpatsch verkam – er verkam, und sie ließ es zu. Da wappnete er sich für die große Sensation, er schüttelte sich, wie
     der Hund sich die Zecken aus dem Fell schüttelt, er aß keine Schokolade und keine fritierten Kartoffelecken mehr, und er bat
     seinen Friseur, sein Haar in Fransen zu schneiden, denn ein Scheitel paßte nicht wirklich zu einem Kulturmann seines Alters.
     Er wurde auf eine junge Praktikantin aufmerksam (Das Leben ist eine Geschichte, in der sich alle wiedererkennen, und in der
     sich alles wiederfindet), aber … kann man das überhaupt sagen? Nein, nein. Es geschah, daß er hochsah und den Staub am Deckenstuck
     seines Büroraumes bemerkte, er stand mit dem Rücken zur Tür, und als ein Dielenbrett knarrte, wirbelte er herum, und da erblickte
     er eine junge Frau, ihre Nase war eine Nasenspitze zu groß für ihr Gesicht, und ihr leicht seitlich versetzter Mund formte
     Worte, die er nicht begriff, denn eine Stille fraß sich in seinem

Weitere Kostenlose Bücher