HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
glauben, aber ich war nicht an der Verschwörung gegen dich und deinen Vater beteiligt.“
Luciens Herz begann so heftig zu pochen, dass er befürchtete, man könne es in der winzigen Kammer hören.
„Obwohl es dasselbe war, als hätte ich ihn selbst getötet.“ Sie wandte den Kopf, sah ihm jedoch immer noch nicht in die Augen. „Raoul war ein guter, bewundernswerter Mann. Er war ein Gemahl, auf den man stolz sein konnte, doch ich war nicht stolz darauf, mit ihm vermählt zu sein. In meiner Jugend wurde ich maßlos verwöhnt, während man meine Schönheit bewunderte. Sie weckten in mir den Ehrgeiz, einen Earl oder gar einen Prinzen zu heiraten. Mein Vater erzählte gerne Geschichten, wie ihm meine Schönheit ein Königreich einbringen würde. Man hielt mich von meinen Schwestern fern, indem man mir eine besondere Behandlung angedeihen ließ. Ich war eitel und selbstsüchtig, aber auch sehr einsam. Niemand mochte mich. Das bestärkte nur noch meine Überzeugung, dass alle anderen eifersüchtig auf mich waren, selbst meine Schwestern und meine eigene Mutter. Diese Annahme vergiftete mein Herz und brachte die anderen dazu, sich noch weiter von mir zu entfernen.“
„Warum hast du dann Vater geheiratet? Er war weder Earl noch Prinz“, fragte Lucien, überrascht von seiner eigenen Neugier. Nun war die Gelegenheit gekommen, endlich eine Antwort auf all die Fragen zu erhalten, die während der ganzen Jahre in seiner Seele gebrannt hatten.
„Die hochgestochenen Hoffnungen meines Vaters wurden jedoch bald zunichte gemacht. Er musste feststellen, dass er unmöglich die hohe Mitgift bezahlen konnte, die eine Vermählung nach seinen Vorstellungen erfordert hätte. Und alle möglichen Verehrer, die mich auch ohne Brautgabe genommen hätten, wurden bald durch mein unerträgliches Benehmen abgeschreckt. Außer Raoul, deinem Vater. Trotz meiner weithin bekannten Schönheit war er der Einzige, der jemals um meine Hand anhielt.
Er hatte Thalsbury gerade erst geerbt, als wir uns begegneten. Er war ein beeindruckender Mann, und ich gebe zu, dass sogar ich ihn bewunderte. Dennoch war ich der festen Meinung, dass er weit unter mir stand. Schließlich war ich wie eine Prinzessin erzogen worden, und nun gab mich mein Vater einem unbedeutenden Lehnsherren. Ich glaube, in Wirklichkeit wollte er mich zu dieser Zeit nur loswerden.“
Sie wandte sich Lucien zu, der sie trotz seiner widersprüchlichen Empfindungen mit offensichtlicher Ruhe beobachtete.
„Wie ich sehe, überrascht es dich, dass ich so freiheraus spreche. Du verbirgst deine Gefühle gut, doch ich bin immer noch deine Mutter. Ich sehe Dinge, die anderen verborgen bleiben.“ Nachdenklich musterte sie sein Gesicht. „Du bist mir ähnlich, glaube ich. Ich habe es früher nie bemerkt.“
„Du hast mich niemals angesehen“, sagte er rau.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe dich nicht beachtet. Es schmerzt mich, es zu sagen, aber ich muss es zugeben. Ich war stolz auf dich, doch du bewundertest Raoul so sehr, dass es meinen Stolz verletzte. Du warst mein einziges Kind. Wenn ich dich nicht ganz allein für mich haben konnte, dann wollte ich dich überhaupt nicht.“
„Du hast mich gehasst“, warf er ihr vor.
„Nein, Lucien. Ich war gemein und selbstsüchtig, das ist wahr. Doch ich habe dich niemals gehasst.“
Luciens Hand zuckte unbewusst zu der Narbe auf seiner Wange. Er bemerkte es gar nicht, bis er Verstehen in ihren Augen aufflackern sah.
„Ja, wie ich sehe, erinnerst du dich noch an diesen Tag. Ich kümmerte mich um deine Wange, nachdem es geschehen war. Selbst in meiner unermesslichen Verblendung fühlte ich damals Reue, kannst du dir das vorstellen?“
Lucien spürte, wie eine große Traurigkeit in ihm aufstieg. Es konnte nicht wahr sein. Sie war eine skrupellose Verräterin. Bisher war ihm niemals in den Sinn gekommen, dass sie möglicherweise ein Gewissen haben könnte.
„Ich warf diesen Ring aus dem Fenster, nachdem ich dich mit ihm an der Wange getroffen hatte. Weißt du, warum ich dich damals geschlagen habe?“
Sie wartete auf keine Antwort. Zu seinem Erstaunen rannen Tränen über ihr Gesicht. Es kann nicht sein, dachte Lucien. Noch nie hatte er seine Mutter weinen gesehen.
„Als du mich und Edgar ertapptest, hielten wir uns gerade in Gastonbury auf. Es war nicht das erste Mal, dass du über unsere Liaison gestolpert warst. Wir trafen uns schon seit Jahren heimlich. Ich suchte die Aufregung und dachte, ich könnte mich von Raoul scheiden
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