Ausflug ins Gruene
1
Nicht, daß Sie denken, ich wäre ein schlechter Lehrer! Dieser erste Schultag stand einfach unter keinem guten Stern. Vier Stunden Schlaf, eine Flasche Selbstgebrannter Weizenkorn und ein Blick in die Abgründe des menschlichen Lebens sind nun mal keine geeignete Grundlage für einen optimalen Schulstart. Das muß man doch einsehen! Kein Mensch könnte nach all diesen Strapazen so locker auftreten wie Dr. Specht.
Aber was rechtfertige ich mich überhaupt? Hätte ich gewußt, unter welchen Umständen ich diese Stelle hier im Sauerland bekomme – vielleicht wäre ich dann gar nicht angetreten. Ich stehe nämlich nicht so auf Mordgeschichten. Jedenfalls dann nicht, wenn sie sich in meinem eigenen Leben abspielen.
Nun, vielleicht sollte ich die Geschichte lieber von Anfang an erzählen. Eigentlich begann ja alles mit dieser Stellenanzeige. Es war nämlich so, daß ich regelmäßig zum Wochenende ein paar Wochenzeitungen durchblätterte, nur um mich zu vergewissern, daß nicht durch einen unglücklichen Zufall eine Stelle für einen Geisteswissenschaftler wie mich hineingeraten war. Ich lag also auf dem Bett und stöberte, während meine allerliebste Angie mißmutig am Schreibtisch saß und in einem Computerhandbuch las.
»Kannst du dir vorstellen, daß ich als pädagogisch engagierter Lehrer am privaten Elisabeth-Gymnasium im Sauerland arbeite?« hatte ich meine Kaffeetasse gut gelaunt gefragt, » eine Schule, die ihren Schülern die christlichen Grundwerte zu vermitteln sucht? «
»Hä?« Angie hatte sich angesprochen gefühlt und genervt hochgeguckt.
»Ganz einfach – man sucht mich!«, hatte ich gewinnend erklärt, »die Schwestern am Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasium brauchen einen Deutsch- und Geschichtslehrer für Sekundarstufe I und II – und zwar sofort!«
Angies unverständliches Gebrummel hatte ich ignoriert und am nächsten Tag eine Bewerbung an das Elisabeth-Gymnasium geschrieben. Nicht, daß ich mir Hoffnungen auf eine Zusage machte! Deutsch und Geschichte war schließlich eine der schlechtesten Fächerkombinationen überhaupt, höchstens noch durch Politik und Textilgestaltung zu überbieten. Mir war klar, daß sich Hunderte auf die Anzeige hin bewerben würden. Unter diesen Hunderten würde ich nicht gerade als der Geeignetste herausragen: Ich hatte keinerlei Berufserfahrung – mein Referendariat lag schon sechs Jahre zurück, und seitdem hatte ich auch nicht die geringste Aussicht auf eine Stelle gehabt. Im Grunde hatte ich mir meine Lehrerlaufbahn längst aus dem Kopf geschlagen und jobbte statt dessen als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen.
Der Anruf ein paar Tage später war daher eine echte Überraschung! Es war acht Uhr morgens, eine Zeit, zu der ich normalerweise gerade erst in den Tiefschlaf gesunken war, als ich von schrillem Telefongebimmel geweckt wurde. Noch leicht orientierungslos robbte ich zur Quelle dieses schrecklichen Lärms und brummte etwas in den Hörer.
»Da habe ich aber Glück, daß Sie gerade zur Tür hereingekommen sind«, flötete mir eine hohe Frauenstimme ins Ohr. Ich überlegte, ob ich auflegen sollte, aber meine Neugier hielt mich zurück.
»Hier ist Schwester Wulfhilde vom Elisabeth-Gymnasium.«
Mein Gedächtnis benötigte drei Zusatzsekunden, um diese Information zu verarbeiten. Als ich nicht sofort reagierte, ging es weiter:
»Sie haben sich an unserer Schule als Pädagoge beworben, und wir würden uns freuen, Sie zu einem Bewerbungsgespräch bei uns begrüßen zu dürfen.« Sofort war ich hellwach. Doch bevor ich losstottern konnte, fuhr Schwester Wulfhilde fort: »Wir sind an einer zügigen Besetzung der Stelle interessiert. Hätten Sie morgen Zeit?«
Ehe ich ein weiteres Mal meine Gehirnzellen eingeschaltet hatte, waren wir schon verabredet – für den nächsten Tag um siebzehn Uhr. Erst als ich den Hörer aufgelegt hatte, kam ich wieder zum Denken. Worauf hatte ich ch da eingelassen?
Ein katholisches Gymnasium schien mitten im Schuljahr ganz dringend einen Lehrer zu suchen und in dieser Verlegenheit sogar mich nehmen zu wollen. Wenn ich die Stelle bekäme, würde ich in die Pampas ziehen müssen, während meine Freunde und vor allem Angie in Köln bleiben würden. Angie! Die war natürlich gerade jetzt nicht da. Sie machte eine Reportage in den neuen Bundesländern, ohne Handy natürlich, um »richtig frei zu sein«. Kurzum sie war telefonisch schlecht zu erreichen. Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf. Hatte ich überhaupt
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