Historical Exklusiv Band 20
dort. In ganz Irland gibt es keinen Landsitz, der sich damit messen könnte. Wir leben sozusagen im Schatten von Croagh Patrick, einem Berg, der alles weit und breit überragt. Ein Wasserfall stürzt von seinem Gipfel hinunter in einen See. Grüne Felder und Wiesen, so weit das Auge reicht. Und sanfte Hügel, wo ich mit meinen Brüdern oft geritten bin.“
Ihre Knie berührten sich, als Keane ihr Wein nachschenkte. Brianas Stimme zitterte kaum merklich, aber schon hatte sie sich wieder gefangen. „Es war das herrlichste Leben, das sich ein Mädchen nur wünschen konnte.“
„Warum habt Ihr Euch dann für ein Kloster entschieden, das so weit von Ballinarin entfernt ist?“
„Ich habe diese Entscheidung nicht getroffen. Sie wurde für mich gefällt. Und seit über drei Jahren habe ich mein Zuhause nicht mehr gesehen. Manchmal habe ich in dieser Zeit gedacht, ich müsste vor Einsamkeit sterben.“ Unsicher sah sie ihn an. „Das klingt wohl ein bisschen übertrieben und kindisch, nicht wahr?“
„Nein, ganz im Gegenteil.“ Keane schaute in die goldgelbe Flüssigkeit in seinem Trinkbecher. „Ich verstehe sogar ganz genau, was Ihr meint. Ich wurde gezwungen, Carrick House zu verlassen. Fast mein ganzes bisheriges Leben habe ich weit fort von hier verbracht.“
„Doch jetzt seid Ihr hier. Zu Hause.“ Briana lächelte ihn an, doch Keane verzog keine Miene. Er war tief in Gedanken versunken und befand sich offenbar darin an einem Ort, der ihm nicht gefiel.
Keane und Briana waren beide gleichermaßen seltsam erleichtert, als Vinson anklopfte, eintrat und verkündete: „Mylord, das Mahl ist gerichtet. Mistress Malloy möchte wissen, ob Ihr im Saal oder hier in der Bibliothek zu speisen wünscht.“
Ursprünglich hatte Keane Briana den Gang zum Speisesaal ersparen wollen, damit sie ihre Kräfte schonen konnte. Doch als er jetzt einen verstohlenen Blick auf das Porträt an der Wand warf, änderte er seine Meinung. Er brauchte unbedingt eine räumliche Distanz zu den Erinnerungen an seine unrühmliche Vergangenheit.
„Sag Mistress Malloy, dass wir in den Speisesaal kommen werden.“
„Sehr wohl, Mylord.“
Der Butler verließ die Bibliothek, und Keane erhob sich, um Briana aufzuhelfen. Galant reichte er ihr einen Arm. „Kommt mit mir, Mylady. Es wird Zeit, dass Ihr mehr von Carrick House zu sehen bekommt.“
Beim Hinausgehen fiel ihm ein, dass er heute erstmals die Gelegenheit hatte, einem Gast sein Zuhause zu zeigen.
5. KAPITEL
„Ihr werdet es mir sofort sagen, wenn die Anstrengung zu groß wird für Euch, nicht wahr, Briana?“ Keane bemühte sich, seine Schritte denen von Briana anzupassen.
„Ja, versprochen.“ Sie war sehr froh über den Arm, auf den sie sich stützen konnte. „Diese ständigen Schwächeanfälle sind äußerst belastend für mich.“
„Sie werden bald aufhören“, versicherte Keane. „Ihr werdet so stark und kraftvoll sein wie zuvor.“
Briana schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln. „Habe ich Euer Wort darauf, Mylord?“
Er verzog keine Miene, obwohl er ihr am liebsten die Haare verwuschelt hätte. Mannhaft widerstand er diesem Impuls. „Ja, ich verspreche es. Und nun erzählt mir etwas genauer, wie Ihr früher wart.“
„Vor dem Überfall durch die Engländer oder vor der Klosterzeit?“
„Warum fangen wir nicht mit Eurem Leben vor dem Angriff an“, schlug Keane vor.
„Einverstanden“, stimmte Briana zu. „Vor dem Überfall hatte ich gelernt, den Kopf in der Kapelle gesenkt zu halten, meine Gedanken niemals auszusprechen und das Unerträgliche zu ertragen. Ich musste einen hohen Preis für diese Lehren bezahlen.“
Obwohl sie sich um einen leichten Tonfall bemühte, konnte Keane die große Traurigkeit spüren, die wohl tief in ihr verborgen lag. „Um was für einen Preis hat es sich gehandelt?“
„Buße. Mir schien, als würde ich nur noch auf Knien rutschen. Wenn nicht in der Kapelle, dann beim Schrubben der kalten Steinfliesen im Speisesaal. Und wenn ich tatsächlich aufrecht gehen oder stehen durfte, dann nur, um bei der Ernte zu helfen oder irgendwelche Ställe auszumisten.“
„All diese Dinge habt Ihr getan?“ Keane konnte seine Verwunderung nicht verhehlen.
„Ja, aber erst, nachdem ich meinen Unterricht und häusliche Aufgaben zur Zufriedenheit der Mutter Oberin erledigt hatte.“
„Und dann behauptet Ihr, schwach zu sein.“ Keane schüttelte leicht den Kopf. „Ich würde sagen, dass Ihr eine außergewöhnliche starke Persönlichkeit sein
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