Guardian Angelinos (03) – Sekunden der Angst
1
Die Bunker Hill Bridge warf einen langen Schatten auf das Meer aus schiefergrauen Betonmulden und -rampen, und das monotone Rauschen des Verkehrs wetteiferte mit dem unablässigen Rotieren von BMX-Rädern und Skateboard-Rollen auf Beton – Musik in Vivi Angelinos Ohren.
Während sie von einem der Zuschauerbereiche den Hügel hinuntertrottete, las sie eine benutzte Serviette auf, die vom Getränkestand heruntergeweht worden war, und warf sie in den Müll. Der Charles River Skate Park war ihr Baby, und selbst das kleinste bisschen Abfall trübte seine Vollkommenheit.
Sie ließ ihr Skateboard von einer Hand in die andere gleiten, blieb unten an der Halfpipe stehen und sah einem Jugendlichen zu, der versuchte, einen McTwist hinzulegen. Empathie und Begeisterung pulsierten in ihr, als der Skater abhob und sich elegant in die Bewegung drehte.
Vivi musste diese Drehung um fünfhundertvierzig Grad mit Schraube erst noch hinkriegen, aber wenn, dann würde es hier sein, im Boston Park, wo sie jede freie Minute verbracht hatte, mit Sammel- und Unterschriftenaktionen, bis sie den Bau der Skateranlage durchgesetzt bekam.
Der McTwist-Kandidat knallte mit einem lauten »Scheiße verdammt!« direkt vor ihr hin.
Vivi bückte sich, um dem Jugendlichen aufzuhelfen, und boxte mit ihrer Faust gegen die des gescheiterten Skaters. »Du kriegst das schon noch hin.«
»Klar«, grinste der und schnellte hoch, obwohl sein Hintern höllisch wehtun musste. »Der McTwist ist besser als Sex.«
»Keine Ahnung«, sagte sie, halb zu sich selbst, während sie das obere Ende der Rampe begutachtete. »Hab’s noch nicht probiert.«
Der Beton reflektierte silberweiß im Wintersonnenlicht, ein seltenes Geschenk an einem Sonntag im Februar, wenn der Wettergott Boston für gewöhnlich mit Schneegestöber ärgerte.
Die Pipe war überfüllt, also beschloss sie, noch ein bisschen im Park herumzufahren, um sich für die harte ehrenamtliche Arbeit, die sie hierfür geleistet hatte, mental ein bisschen auf die Schultern zu klopfen. Jahrelang immer wieder Ausflüge ins Rathaus, all die Präsentationen vor Mitgliedern des Stadtrats, all die Freizeit, die sie geopfert hatte, waren es wert gewesen, den Skatern von Boston einen Ort zu geben, an dem sie ihrer Leidenschaft frönen konnten. Diese Jugendlichen, größtenteils Stadtratten, hatten keine Ahnung, wie man lokale Politiker und Verantwortliche dazu brachte, einem zu geben, was man wollte. Aber Vivi war älter – aber nicht weniger leidenschaftlich, was diese Freizeitbeschäftigung betraf – und konnte sich gut daran erinnern, wie es war, ein Teenager ohne Stimme zu sein.
Also hatte sie ihnen ihre geliehen, und dieses wunderbare Mosaik aus Beton und Grasflächen war das Ergebnis. Sie betrachtete die Zuschauerbereiche, von wo aus Eltern, Partner, Neulinge und Möchtegerns auf die Skaterbahnen hinabblickten und – Scheiße. Ihr Herz stürzte nach unten wie ein Longboard auf der Zwei-Meter-fünfzig-Rampe.
»Was macht der denn hier?«
Assistant Special Agent in Charge Colton Lang stand da und umfasste mit starken Händen das Geländer, die breiten Schultern voller Entschlossenheit angespannt, sein unbeirrbarer Blick streifte über die Rampen wie der eines todbringenden Scharfschützen auf der Suche nach seinem nächsten Opfer.
Lang war der Allerletzte, den sie im Charles River Skate Park erwartet hätte.
Er hatte sich dauernd darüber lustig gemacht. Sie damit aufgezogen, ob sie nicht ein bisschen zu alt sei für ein Skateboard.
Es war gewiss nicht so, dass seine Meinung von Bedeutung gewesen wäre. Er war ein Mandant ihrer Sicherheitsfirma und Detektei, und das hier war ein arbeitsfreier Sonntagmorgen. Wen interessierte es, ob er sie in dem Park herumhängen sah, den sie mit gebaut hatte?
Sie. Alles, was mit Colton Lang zu tun hatte, interessierte sie viel zu sehr. Und das war ihr Problem. Ihr schmutziges kleines, heimliches Problem.
Also, warum in aller Welt war dieser verklemmte, spießige FBI-Agent hier in ihrem heiligen Skate Park und verdarb ihr diesen fantastischen Sonntagmorgen? Wie hatte er sie überhaupt ausfindig gemacht?
Und gleich würde er sie erspähen, mit windzerzausten Haaren, die nach ihrer letzten Fahrt die Vert Pipe hinunter in alle Richtungen abstanden, schweißnassem Gesicht und Klamotten, die an ihr hingen, als hätte sie sie in ihrem Schlafzimmer vom Boden aufgesammelt und angezogen, ohne auch nur einen Blick in den Spiegel zu werfen. Weil, na ja, weil es so gewesen
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