totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
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Meine Reise in die Bedeutungslosigkeit begann an einem dieser derart wunderschönen Spätsommertage, dass mir in meiner Situation zwangsläufig schlecht davon werden musste. Die Augustsonne schien laut und grell aus vollem Halse, während in meinem Innern die Königin der Nacht »Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen« skandierte, da klingelten schon die Studis vom Jobservice, die ich in einem Anfall von Luxussehnsucht engagiert hatte. Man kann nicht behaupten, dass an diesem Tag viel Hausstand bewegt werden musste. Da ich weder Kunstwerke noch Aktien oder Immobilien besaß, hatte ich bereits mein geliebtes Multi Ligne Roset Schlafsofa und meinen Flachbildfernseher inklusive DVD-Player an einen geizigen Oberstudienrat veräußert, der mir mit jedem seiner Worte und Gesten vermittelte, was er von einer im Penthouse wohnenden Medienfuzzi-Liesel wie mir hielt.
Was ich dafür von ihm bekommen hatte, ging sofort für die zwei Germanisten mit den vier linken Händen drauf, damit sie, dank meines Geldes, in eine sorglose Oberstudienratzukunft mit der Lizenz zum Nörgeln blicken konnten. Wenn ich mein verbliebenes Budget durch eine vier Quadratmeter große rosa Brille betrachtete, reichte es gerade eben noch für einen Minifernseher aus dem Media Markt. Ich hatte mich entschieden, lieber das Sofa zu verkaufen und dafür meinen alten schwarzen Opel Kadett zu behalten. Mobilität ist Freiheit, auch wenn ich bald nicht mal mehr das Geld haben würde, mir Benzin zu kaufen. Das Auto, hatte ich beschlossen, musste bei mir bleiben, und wenn ich es nur jeden Tag anschauen und wissen würde, dass ich damit wegfahren könnte, wenn ich Benzin kaufen könnte.
Kaum, dass die beiden Grobmotoriker meinen arg zusammengeschrumpften Hausstand aus 150 Quadratmetern über den Dächern von Köln hinaus und 80 Kilometer weiter in Bochum in meine neuen 22 Souterrain-Quadratmeter, inklusive Küchenzeile und Duschbad, hinabgetragen hatten, fing es prompt an zu regnen. Ich fühlte mich von meiner alten Heimat aufs Herzlichste willkommen geheißen.
Nachdem Dipl.-Paed. Beavis und Butthead endlich gecheckt hatten, dass ich weder zu Gesprächen noch zur Zubereitung von Kirschblütentee bereit und schon gar nicht auf Trinkgeld anzusprechen war, hatten sie sich murrend getrollt.
Dann war ich plötzlich allein, stand an meinem vergitterten Souterrainfenster und sah den Regentropfen zu, wie sie in den Vorgarten, in den mein einzig möglicher Blick ging, klatschten. Genau drei Meter, um den Blick schweifen zu lassen, dann kam das Mäuerchen. Ich würde mich also auf Menschen ohne Füße und ohne Kopf einstellen müssen, die ich beobachten konnte, wenn mir nach sozialem Leben war. Knie, Rocksäume und Mantelfalten, weggeworfenes Bonbonpapier und abgefälschte Bananenflanken zukünftiger Fußballstars sollten ab jetzt mein ganzes Panorama sein. Gab es dafür eigentlich einen filmischen Fachterminus? Wahrscheinlich so: He, Kameramann, mach mir mal ’ne Unterirdische. Ich will, dass so voll fett die Beklemmung rüberkommt. Oscarverdächtig!
Ein Gutes hatte dieses Souterrain: Es lag in Fußweite zur City und nur einen Steinwurf weit entfernt vom Wahrzeichen Bochums, dem berühmten türkisfarbenen Förderturm des Bergbaumuseums. Es war mir ein Trost, dass ich noch immer über eine gute Adresse verfügte. »Ich wohne am Stadtpark« hört sich immer noch besser an als »Ich wohne im Souterrain, Am-Arsch-der-Welt-Weg 17.« Wie schön, dass es bei den guten Adressen auch umgebaute Kohlenkeller gibt, in denen ein Loser wie ich sang- und klanglos verschwinden kann. Und noch ein Pluspunkt durfte dem Kellerloch angerechnet werden: Es war praktischerweise möbliert. Küchenecke mit zwei Kochplatten, also nie mehr was Überbackenes, von Kuchen ganz zu schweigen; ein kleiner Esstisch, zwei Stühle, ein Ikea-Bett aus der Serie »Zölibaten«, einladende sexy 90 Zentimeter breit und ein Ikea-Schrank, 100 Zentimeter breit. Das war’s. Nicht zu übersehen: Ein Duschklo, auf weiteren 1,3 Quadratmetern verschwenderisch aufgeteilt, rundete das Bild ab.
So saß ich zum ersten Mal an meinem neuen kleinen Tisch auf meinem neuen kleinen Stuhl, und Hoffnungslosigkeit, altbekannte Begleiterin der letzten Monate, machte sich so breit, wie es die 22 Quadratmeter zuließen. Ich wähnte, dass ich nie, nie wieder eine Wohnung mit einer Badewanne haben würde. Tja, liebe Maggie, das soll es dann wohl mit deinem lustigen Leben als Drehbuchautorin und Produzentendarling gewesen
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