Historical Exklusiv Band 20
gelingen, den Onkel sicher nach Wrexton zu bringen, und dann musste sie sich allein nach Kerry aufmachen.
Marcus spürte die Kühle des frühen Abends nicht. Kälte hatte ihm noch nie etwas ausgemacht – und vor wenigen Augenblicken hatte er ohnedies noch unter unerträglicher Hitze zu leiden gehabt.
Das war einzig die Schuld der Irin.
Er hätte gerne einen Moment für sich allein gehabt, um das Gefühl auszukosten, Keelin O’Shea in seinen Armen gehalten zu haben. Er hätte sich genügend Zeit genommen, an ihren weichen Körper zu denken, an ihren langen, schlanken Hals, ihr schimmerndes Haar und das Feuer in ihren grünen Augen.
Stattdessen beanspruchten ihn ganz andere Dinge. Gemeinsam mit Nicholas Hawken betrat er das Zeltlager und berichtete von dem Zusammenstoß mit den barbarischen Kelten.
Nicholas wurde bei seinen Worten schlagartig nüchtern. Er hörte dem jungen Grafen aufmerksam zu, wobei seine ohnehin düstere Miene sich weiter verfinsterte.
„Ich bitte um Verzeihung für meine taktlose Bemerkung“,sagte er schließlich und verbeugte sich. „Eldred war ein guter und gerechter Mann, und Euer Verlust dauert mich zutiefst.“
Marcus wusste die Beileidsbekundung zu schätzen und dankte dem Marquis. „Ich habe einige meiner Getreuen nach Chester geschickt, um den Bischof zu holen. Sobald der Geistliche in Wrexton eintrifft, kann die Totenmesse gelesen werden.“
„Wann werdet Ihr von hier aufbrechen?“
„Ich weiß es noch nicht“, antwortete der Graf. „Adam ist schwer verwundet. Ich denke, Lady Keelin wird am besten wissen, wann wir meinen Vetter von hier fortbringen können.“
„Was hat es mit dieser Frau auf sich?“
Marcus sah den Marquis an.
„Sie hat doch selbst zugegeben, dass sie der Grund für all dies Leiden ist, oder etwa nicht?“
Marcus konnte Nicholas’ Behauptung nicht widerlegen, aber dennoch vermochte er nicht einzusehen, in welcher Weise Keelin O’Shea für den Tod seines Vaters verantwortlich war. Sie war den wilden Schurken genauso zum Opfer gefallen wie alle anderen auch.
„Es steht außer Frage, dass sie Schutz braucht“, sagte er. „Sobald Adam von hier fortgebracht werden kann, werden Lady Keelin und ihr Onkel uns nach Wrexton begleiten.“
Einen Augenblick herrschte Schweigen, doch dann brach der Marquis in höhnisches Lachen aus und schlug dem Grafen derb auf die Schulter. „Stets der ehrenhafte Ritter, was, Wrexton?“
Die Ritter und Edlen, die Marcus kannten, nahmen an, dass er sich deshalb nicht mit Frauen vergnügte, weil das seinem falsch verstandenen Ehrgefühl widersprach. Er hatte schon viele Scherze über sich ergehen lassen müssen und war nicht in der Lage gewesen, sie entsprechend zu parieren. Man nannte ihn „Marcus den Redlichen“, aber meist war diese Bezeichnung eher als Beleidigung denn als Kompliment gemeint.
Der junge Adam wälzte sich krampfartig und unter Schmerzen hin und her. Keelin kümmerte sich um den armen Burschen und versorgte auch ihren Onkel mit allem Nötigen. Keinesfalls hatte sie vor, dem alten Tiarnan von dem lebensbedrohlichen Vorfall im Wald zu erzählen. Sie verlor auch kein Wort über die merkwürdigen Gefühle, die sie verspürte, seit der junge Graf in ihr Leben getreten war. Ihr Onkel hatte schon genug damit zu tun, wieder gesund zu werden.
Keelin sah, dass die Ritter aus Wrexton nahe der Hütte mehrere Zelte aufgeschlagen hatten und nun ein Lagerfeuer anzündeten. Ein Getreuer des Grafen bereitete eine Abendmahlzeit vor, während Marcus de Grant gedankenversunken in die Flammen starrte. Sein blondes Haar schimmerte golden im Schein des Feuers.
„Sir Henrie“, hörte Keelin Lord Wrexton sagen, und bei dem Klang seiner Stimme durchfuhr sie eine angenehme Wärme. „Bei Sonnenaufgang brecht Ihr zusammen mit Arthur Pratt auf. Reitet nach Wrexton. Verkündet dort …“, er hielt einen Moment inne, „erzählt alles über den Tod meines Vaters. Sagt Pater Pygott, dass er die Vorbereitungen für die Bestattung treffen soll.“
Keelin bemerkte, wie gezielt der Graf seine Befehle erteilte und sich nicht in seinem tiefen Schmerz verlor. Während sie Marcus für seine Gefasstheit und Entschlossenheit bewunderte, erinnerte sie sich an jenen Tag, an dem ihr eigener Vater getötet wurde. Mit dem gewaltsamen Tod von Eocaidh O’Shea hatte Ruairc Mageean zwar einen Sieg errungen, aber da Keelin mit der Heiligen Lanze aus Kerry geflohen war, hatte sie ihren Clan vor dem Schlimmsten bewahrt.
Erneut sehnte sie sich
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