Historical Exklusiv Band 42
schließlich nicht grundlos abgewiesen.“
Lustlos rollte sie ihr süßes Brötchen auf dem Teller herum.
„Ich sollte mal besser die Papiere von gestern sortieren gehen“, meinte Zenobia, machte jedoch keine Anstalten, aufzustehen.
„Hmm. Es ist so ein schöner Tag. Vielleicht sollten wir uns den Garten ansehen.“ Auch Talitha blieb am Tisch sitzen.
Plötzlich schob Zenobia ihren Stuhl zurück und stand auf. „Ich weiß, was uns ablenken wird. Komm mit auf den Dachboden.“ Talitha schüttelte den Kopf, ließ sich jedoch in Richtung Treppe schieben und erklomm hinter Zenobia die Stiegen bis unters Dach.
„Da!“ Zenobia stieß die Tür auf, und große, lichtdurchflutete Räume, die ineinander übergingen, präsentierten sich ihnen. „Das ist die Mansarde“, erklärte sie und deutete mit der Hand auf die hohen Decken und die großen Fenster. „Es ist sehr unkonventionell, aber ich habe mir überlegt, dass ich mir hier gerne meine Zimmer einrichten würde. Es gibt sogar Platz genug für uns beide – für jede ein Schlafzimmer, zwei Ankleidezimmer und ein großes Wohnzimmer.“
Von ihrem Enthusiasmus angesteckt, nickte Talitha begeistert.
„Die Größe ist aber noch nicht das Beste. Sieh dir nur mal diesen Blick an!“ Zenobia riss ein Fenster auf, duckte sich unter dem Rahmen hinweg und trat hinaus auf die Schindeln. Gedankenlos folgte Talitha ihr, nur um sich augenblicklich nach Luft schnappend an den Fensterrahmen zu klammern.
Um die Dachkante zog sich ein ebener Umlauf, etwa anderthalb Meter breit, bevor er steil zum abgeflachten First hin anstieg. Der Umlauf war von einer hüfthohen Steinmauer eingefasst, und selbst mit dem Rücken an die Wand gepresst, konnte Talitha über die Dächer von Putney hinweg das Glitzern des Flusses in der Ferne erkennen.
Ohne Angst vor der Höhe setzte Zenobia sich auf die Mauer, dann rief sie ihr zu: „Komm her und sieh dir das an. Es ist vollkommen sicher, die Steine sind fest.“ Sie warf einen Blick zurück und sah Talithas Gesichtsausdruck. „Oh Gott, es tut mir ja so leid, ich habe deine Höhenangst vergessen.“
„Das ist einfach dumm von mir“, erklärte Talitha fest und zwang sich, den Fensterrahmen loszulassen. „Der Blick ist in der Tat bezaubernd und die Zimmer sind wunderschön.“ Der Magen drehte sich ihr um, doch sie schaffte es, ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern. Gleichzeitig überlegte sie, wie sie Zenobia von der Brüstung herunter und weg von dem gähnenden Abgrund locken konnte.
Ihre Freundin sprang schließlich von selbst herab, so unbekümmert, als würde sie von einem Stuhl aufstehen, und lehnte sich darüber, ohne sich darum zu scheren, dass sie die Ellenbogen ihres Kleides beschmutzte. „Oh, sieh nur, da kommt eine Kutsche. Wer kann das denn sein?“ Ohne auf Talithas Angstschrei zu achten, lehnte sie sich ein Stück weiter hinaus. „Mrs Blackstock kann es nicht sein, es ist keine Droschke. Ach, ich weiß – es ist bestimmt Lady Whinstanley, sie war höchst interessiert, als ich ihr von meinen Plänen erzählt habe, und sie besitzt ein Haus hier in der Nähe.“
„Dann läufst du besser runter“, brachte Talitha schwach hervor. „Du solltest sie nicht warten lassen.“ Zu ihrer überaus großen Erleichterung richtete sich Zenobia tatsächlich auf und duckte sich zurück ins Zimmer.
Als ihre Schritte die Treppe hinab verklungen waren, schob auch Talitha sich ins Zimmer zurück, wobei sie die Mauer misstrauisch im Auge behielt, als würde sich diese plötzlich auf sie stürzen und sie ins Nichts schleudern. Dann hielt sie inne. Warum, wusste sie nicht, doch da war diese Stimme, Nicks Stimme, die ihr ruhig erklärte, sie könne auf diesen Albtraum von einem Sims steigen, vermischt mit Zenobias hastiger Entschuldigung, als sie sich an ihre Angst erinnerte.
Nick hatte ein großes Risiko auf sich genommen, weil er sie überredet hatte, sich diesen Sims entlangzuschieben, und Zenobia bereute sicherlich bereits ihren Plan, diese bezaubernden Räumlichkeiten in Zimmer zu verwandeln – all das nur, weil sie, Talitha, unter Höhenangst litt.
Sie zwang sich, wieder hinauszutreten. Wie beim ersten Mal klammerte sie sich unwillkürlich an den Fensterrahmen. Zumindest war dies eine echte Angst, sie wollte damit weder Aufmerksamkeit erringen noch erreichen, dass sie von einem Mann beschützt wurde. Jetzt stand sie da, genauso allein und zu Tode verängstigt wie im Atelier. Sollte es ihr jedoch hier und jetzt gelingen, ihre
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