0589 - Mörder von den Sternen
Wenn Carina Lariso geahnt hätte, was auf sie wartete, sie hätte das Zimmer sicher nie betreten. Aber sie ging davon aus, daß es nicht belegt war, denn in diesen Tagen beherbergte das 120-Betten-Hotel nur wenige Gäste, die Zimmerkapazität war nur zu einem Drittel ausgelastet. Marconi, der Manager, überlegte schon, einen Teil des Personals für die nächsten Tage in Zwangsurlaub zu schicken - natürlich unbezahlt! - und seine Untergebenen erst am Freitag wieder einzusetzen, wenn die Wochenendgäste kamen.
Deshalb versuchte das Zimmermädchen, so ›unsichtbar‹ wie möglich zu bleiben. Es fiel kaum Arbeit an, und wer nicht arbeitete, fiel auf. Und wer auffiel, lief Gefahr, gefeuert zu werden.
Woran Carina ganz und gar nicht interessiert war. Sie brauchte das Geld. Wenig genug war es, sie konnte keinesfalls darauf verzichten. Eine wesentlich besser bezahlte Stelle im ›Villa Doria Pamphili‹ hatte sie vor drei Jahren verloren, weil dort streng rationalisiert wurde. Daß sie schon zehn Jahre lang dort gearbeitet hatte, das hatte nicht gezählt. Man hatte sie nicht mehr gebraucht, also war sie gekündigt worden.
Dann hatte es eine Weile gedauert, bis sie eine neue Arbeit gefunden hatte. In der Zwischenzeit sammelte sich ein Schuldenberg an, von dem sie vermutlich nie wieder herunterkommen würde.
Erst recht nicht, wenn sie jetzt zwischendurch unbezahlt beurlaubt wurde. Oder wenn der Manager auf die Idee kam, sie so oder so entbehren zu können…
Daher drückte sich Carina, wenn nichts zu tun war, möglichst dort herum, wo niemand über sie stolperte. Und im Moment war nichts zu tun -was an Verschönerungsarbeiten möglich war, war längst erledigt.
Deshalb machte sie derzeit mehr Zigarettenpausen als normal. Die waren nicht erlaubt, so oder so, und deshalb verschwand Carina zum Rauchen in leerstehende Zimmer. Die sie hinterher natürlich gut durchlüftete.
Diesmal war Zimmer 14 an der Reihe.
Es war schon seit zwei Wochen nicht belegt worden und gehörte zu Carinas Etage, also zu dem Stockwerk, für das sie zuständig war, was putzen und saubermachen anging. Sie drückte die Klinke nieder und schob die Tür langsam auf.
Schon beim Eintreten hatte sie das Gefühl, als wäre etwas nicht in Ordnung. Aber da hatte sie die Tür schon hinter sich geschlossen, schritt langsam an der winzigen Nische vorbei, die Toilette, Duschzelle und Waschbecken barg, und stand unvermittelt im Raum vor dem großen Bett.
Kleidungsstücke lagen auf der Tagesdecke und dem Teppich vor dem Bett verstreut.
Die Kleidungsstücke eines Mannes!
Stiefel, eine Hose, ein Pullover, eine Jacke, Handschuhe, Mantel, Schal, Hut…
Nur von dem Mann selbst war nichts zu sehen!
Carina schluckte unwillkürlich. In dem kleinen Bad befand er sich auch nicht, denn dort hätte Carina ihn beim Eintreten sehen müssen, weil die Tür dahin offenstand.
Sie sah auch keinen Koffer.
Aber sie hörte schleichende Schritte. Und ein leises, schabendes Geräusch, als riebe Pergamentpapier gegeneinander!
Eiskalt lief es Carina über den Rücken. Ihre Gedanken überschlugen sich, drehten sich im Kreis. Sie wollte herumwirbeln und das Zimmer verlassen. Und brachte es doch nicht fertig.
Im nächsten Moment konnte sie es schon nicht mehr.
Eine Hand legte sich über ihren Mund. Eine andere packte sie an der Schulter.
Von einem Moment zum anderen sah sie den Mann.
Mann…?
Ein überschlankes, pfähl dürres Wesen mit nackter, glatter Haut und einem großen Kopf, der von riesigen Facettenaugen beherrscht wurde!
Für einen winzigen Augenblick noch hoffte Carina, eine Maske zu sehen. Eine von diesen täuschend echt wirkenden Gummimasken, wie sie ursprünglich in den Trickstudios von Hollywood oder Cinecitta entwickelt worden waren. Und die die Leute jetzt in den Karnevalstagen über den ganzen Kopf zogen. Masken, die nur kleine Öffnungen für Augen, Nase und manchmal auch Mund hatten.
Aber eine Maske, die den ganzen Körper umschloß, und dazu noch einen so unwahrscheinlich dürren Körper -nein, die konnte es nicht geben!
Die unglaubliche Kreatur vor ihr trug keine Maske. Sie war echt!
Und dann stürzte Carina Lariso in eine endlose Schwärze jenseits aller Probleme und Alpträume…
Als der Dürre mit den Facettenaugen sie losließ, verschwand er wieder in der Unsichtbarkeit. Aber das bekam Carina schon nicht mehr mit.
Chaayarreh war nach Rom gekommen!
***
»Schmuddelwetter«, stellte Nicole Duval nach einem Blick aus dem Schlafzimmerfenster fest.
Weitere Kostenlose Bücher