historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
Verantwortungsbewusstsein hatte sein ganzes Dasein geprägt.
Drei der Lichter galten der Erinnerung an Adrians ältesten, nach dem Vater benannten und ihm im Charakter sehr ähnlichen Bruder, dessen Gemahlin und den kleinen Sohn. Das hochfahrende, selbstgerechte Wesen hatte Hugh, den ursprünglichen Erben von Warfield, nicht sehr beliebt ge macht; seine furchtlose Kühnheit indes war von jedem bewundert worden. Gewiss hatte er so manchen von Guy de Burgoignes Spießgesellen erschlagen, ehe er der Übermacht erlag.
Die beiden letzten Kerzen waren zum Gedächtnis an den ein Jahr jüngeren Amaury und Baldwin, den dritten der ermordeten Brüder. Amaury hatte darunter gelitten, dass er nur der Zweitgeborene war, und stets versucht, es in allem dem Älteren gleichzutun. Und das war ihm gelungen, im Guten wie im Schlechten. Baldwin, im selben Alter mit Richard de Lancey, hatte auf den Halbbrud er nur voller Geringschätzung herabgesehen. Es war eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der verachtete Bastard überlebte, weil er an einem bitterkalten Winterabend die Verfolgung blutrünstiger Mordgesellen aufgenommen hatte, während Hugh de Lanceys rechtmäßige Söhne es sich in der Weihnachtsnacht an der Tafel gut gehen ließen.
Adrian atmete tief durch und fragte sich, ob es unrecht sei, dass er Dankbarkeit empfand, weil Richard, der von ihm am meisten geliebte Bruder, dem Gemetzel nicht zum Opfer gefallen war. Ein dünnes Lächeln zuckte um seinen Mund. Den anderen Toten gegenüber mochte es herzlos sein, doch er konnte seine innere Überzeugung nicht verleugnen.
Langsam nahm er einen weiteren Wachsstock und ent flammte ihn für die Mutter. Das hatte er schon oft getan, doch diesmal geschah es nicht, um den Schöpfer für sie um Gnade zu bitten. Er vertraute darauf, dass ihre Seele Aufnahme in den Reigen der von Gott Auserwählten gefunden hatte. Vielmehr wollte er nun für sich die Vergebung des Herrn erflehen. Nach Eleanor de Lanceys Hinscheiden hatte er mit dem Allmächtigen gehadert und nicht einsehen wollen, dass seine gütige, weichherzige Mutter so frühzeitig abberufen worden war. Jetzt begriff er, dass er mehr Vertrauen in Gottes weisen Ratschluss hätte haben müssen.
Eleanor war sanft und friedlich entschlummert und hatte nicht, wie ihre Familie, inmitten grausamen Blutvergießens den Tod gefunden.
Zum Schluss entzündete Adrian die restlichen Unschlitt-lichter, bis eine Fülle von Flammen die Dunkelheit vertrieb. Sie waren für das Gesinde und die Soldaten, die bei dem Morden das Leben gelassen hatten. Die meisten von ihnen hatte Adrian gut gekannt. Mit einigen hatte er in der Kind heit gespielt, von anderen beim Heranwachsen Kunstfertigkeiten mancherlei Art gelernt. Sie alle hatten auf den Schutz ihres Zwingherren gebaut, doch Hugh de Lancey war nicht imstande gewesen, sie vor dem Untergang zu bewahren.
Mochte der Allmächtige ihren Seelen gnädig sein und verhüten, dass Adrian je gleiches Versagen vorgeworfen werden konnte.
Der junge Baron of Warfield schritt in die Marienkapelle, den Ort, an dem er stets den größten inneren Frieden fand. Das Antlitz der thronenden Madonna mit dem Jesuskind über dem Altar strahlte eine innige Ruhe aus, die ihn an die Mutter erinnerte und an alles Reine, Arglose und Unschuldige dieser Welt.
Es lag eine tiefe Wahrheit darin, von der Heiligen Mutter Kirche zu sprechen, denn die Diener und Dienerinnen Christi waren die Verbreiter des Glaubens und der sittlichen Werte unter den Menschen, so wie das Weib dem Manne die Erziehung und moralisches Verständnis vermittelte und ihm liebevolle Fürsorge schenkte.
Adrian de Lancey kniete nieder und legte das Schwert auf die oberste Stufe des Altars. Da er bereits zum Schildmann gemacht worden war und nicht, dem Brauch entsprechend, die Nacht vor dem Ritterschlag im Gotteshaus bei der Waffenwache verbracht hatte, senkte er nun in Demut das Haupt, bedeckte das Gesicht mit den Händen und versuchte, den himmlischen Vater um Kraft, Duldsamkeit und Klugheit zu bitten.
Seine Gedanken schweiften indes immer wieder ab und kreisten um die Zukunft. Er nahm sich vor, beim König Klage gegen Guy de Burgoigne und seine Mordbrenner zu erheben.
Stephen de Blois würde einen seiner wichtigsten Gefolgsleute sicher nicht bestrafen, aus Schuldgefühl jedoch vielleicht ganz oder zumindest teilweise auf die Rittersteuer und das Lehngeld verzichten, die der neue Baron of Warfield nach der Übernahme seines Erbes zu entrichten hatte. Adrian
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