Historical Saison Band 09
Kopf und begriff im gleichen Moment, dass sie sich vorhin getäuscht hatte: Sie war nicht ohne Freunde. Lady Myers würde sie nicht im Stich lassen.
„Der Krieg ist vorbei“, teilte diese ihr strahlend mit. „Napoleon hat sich zuletzt doch geschlagen geben müssen. Paris ist von den Alliierten besetzt. Wir können endlich nach Hause.“
„Nach Hause …“, wiederholte Sophie leise. Wo war ihr Zuhause? Während der letzten zehn Jahre hatte sie in Italien, Frankreich, Österreich und der Schweiz gelebt. Frankreich hatte sie als ein Land voller Kontraste in Erinnerung, wofür vermutlich die Revolution verantwortlich war. Die Schweiz mit den wunderschönen Bergen und der klaren Luft hatte sie geliebt, vor allem, weil ihre Mutter sich dort wohlgefühlt hatte. Viel zu schnell hatten sie das Land wieder verlassen müssen. Natürlich hätte ihr Vater nie zugegeben, dass sie auf der Flucht waren. Aber es stimmte trotzdem: Wo auch immer er sich niederließ – nach einer Weile musste er vor seinen Gläubigern davonlaufen.
Sie unterdrückte einen Seufzer. Für Engländer war das Leben auf dem europäischen Festland verhältnismäßig günstig. Sie und ihre Eltern hätten ein bescheidenes, aber dabei doch recht bequemes Dasein führen können, wenn die Schwäche ihres Vaters nicht immer wieder zu neuen Katastrophen geführt hätte.
Von der Schweiz aus war man nach Österreich gereist, um eine Zeit lang in Wien zu wohnen. Sophie und ihre Mutter hatten die schönsten Ecken der Stadt erforscht, während ihr Vater sich mit anderen Engländern getroffen und sich erneut dem Glücksspiel hingegeben hatte. Stets hatte er behauptet, der große Gewinn könne nicht mehr lange auf sich warten lassen. Dann würden er und seine Lieben endlich die Achtung erfahren, die ihnen zukam. Hotelangestellte, Vermieter, Schneiderinnen und Lebensmittelhändler würden sie mit der größten Zuvorkommenheit behandeln.
Leider ging diese Prophezeiung nie in Erfüllung. Stattdessen mussten sie oft mitten in der Nacht heimlich das Hotel verlassen, in dem sie abgestiegen waren, weil sie die Rechnung nicht bezahlen konnten. Sophie war damals fünfzehn gewesen und hatte die Flucht als spannendes Abenteuer erlebt. Ihrer Mutter hingegen, die schon lange an Melancholie litt, hatte die Aufregung gar nicht gutgetan. Sie erholte sich weder in Venedig noch in Mailand, Turin, Florenz oder Rom von den Anstrengungen, die ihr Ehemann ihr aufbürdete.
Als ihr Gatte sich schließlich in Neapel niederließ, war Lady Langford bereits schwer krank. Umso mehr freute es sie, eine alte Freundin wiederzutreffen. Lady Alicia Myers, eine Engländerin, die sie bereits vor vielen Jahren in Suffolk kennengelernt hatte, wohnte in der Nachbarschaft.
„Sie war frisch verheiratet, als wir uns zum ersten Mal begegneten“, hatte Lady Langford ihrer Tochter erzählt. „Lord Myers entschloss sich, in den diplomatischen Dienst zu gehen, und musste deshalb bald darauf seine Heimat verlassen. Natürlich begleitete Alicia ihn. Wir schrieben uns, wann immer das möglich war. Doch irgendwann haben wir uns aus den Augen verloren. Ich bin so froh, dass wir unsere Freundschaft nun erneuern können.“
Sophie hatte genickt und gehofft, dass das Wiedersehen mit der langjährigen Freundin ihrer Mutter guttun würde.
Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Langfords in noch größeren finanziellen Schwierigkeiten als je zuvor. Längst hatten sie alle Hausangestellten entlassen. Die Kutsche war samt den Pferden verkauft worden. Um den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern, hatte Lady Langford sich vom größten Teil ihres Schmucks getrennt. Vielleicht war es dieser Schritt gewesen, der ihre Hoffnung, jemals nach England zurückkehren zu können, endgültig ausgelöscht hatte. Sie wusste, dass sie mitten im Krieg in einem fremden Land gestrandet war, ohne Geld und ohne die Aussicht auf eine Verbesserung der Situation. So hatte sie allen Lebensmut verloren und war nach relativ kurzer Zeit gestorben.
Ihr Tod hatte Lord Langford völlig aus der Bahn geworfen. Tagelang hatte er geweint, sich mit Selbstvorwürfen gequält und Sophie, wenn er betrunken war, angefleht, ihm seine Fehler zu verzeihen. Sie hatte selbst kaum gewusst, wie sie weiterleben sollte. Niemand hatte sie in ihrem Kummer getröstet. Ja, sie hatte nicht einmal Zeit, richtig zu trauern. Wenn sie nicht verhungern wollte, musste sie sich um alles kümmern, was es zu erledigen gab.
Dazu gehörte auch – wie sie bald einsehen
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