Historical Saison Band 18 (German Edition)
dummen Kulis haben eine Bambussänfte gebracht“, verkündete sie und stampfte mit dem Fuß auf. „Eine Bambussänfte! Darin kann ich mich unmöglich sehen lassen. Wo ist die schwarz lackierte Sänfte, die wir sonst benutzen?“ Empört rang sie die Hände. „Wenn er mich nun darin sieht?“
„Er, Liebes?“ Ihre Mutter richtete resigniert den Blick gen Himmel. „Schluss jetzt. Steig ein, damit wir aufbrechen können. Wir werden ohnehin bereits verspätet zum Herbstball des Gouverneurs eintreffen.“
Mit einem wütenden Schnauben kletterte Miss Wilkinson in die Sänfte und verschränkte die Arme. Und endlich setzten sich die Träger in Bewegung, um die Wilkinsons durch die engen, sich windenden Gassen hinauf zur Mountain Lodge zu bringen, die auf dem Gipfel des Victoria Peak lag. Erleichtert atmete Isabelle aus und nahm das Fenster genauer in Augenschein. Mit einer schnellen Drehung des Handgelenks holte sie ein kurzes, scharfes Messer hervor, schob die Klinge vorsichtig zwischen den Holzrahmen und das Mauerwerk und begann das verrottende Holz zu bearbeiten. Es kam einem kleinen Wunder gleich, dass die Wilkinsons den Auswirkungen der feuchten, subtropischen Hitze auf viktorianische Häuser keine Beachtung schenkten. Innerhalb weniger Minuten hatte sie genug Holz entfernt, um das Fenster aufhebeln zu können. Mit einem leisen Knarren schwang es auf. Schnell und lautlos wie ein Schatten schlüpfte Isabelle ins Haus.
Mit katzengleicher Anmut bewegte sie sich durch das dämmrige Zimmer zur Tür, wo sie innehielt und lauschte. Sie hörte die Dienstboten unbekümmert plaudern. Offenbar hatten sie sich, da ihre Herrschaft den ganzen Abend außer Haus war, zu einem Schwatz in der Küche getroffen. Vorsichtig versuchte Isabelle, knarrende Dielen zu vermeiden, schlich in die Halle, stieg die Stufen hinauf und stahl sich auf Zehenspitzen in Miss Wilkinsons Gemächer.
Dort stach ihr das, was sie suchte, sofort ins Auge.
Die prunkvolle, goldfarbene Seidenrobe hing nachlässig über einem Stuhl, ihr handbestickter Saum lag ausgebreitet wie eine Schleppe auf dem zerschlissenen Teppich. Wie einen alten Freund begrüßte Isabelle das Gewand und nahm es in ihre Arme. Das elegante Kleidungsstück war schwer und von unverkennbarer Pracht; ganz offensichtlich hatte es früher einmal einem Kaiser gehört. Sie ließ den glänzenden Stoff über ihre Haut gleiten und stellte sich vor, es sei die Liebkosung eines Liebhabers, denn gewiss fühlten sich die zärtlichen Hände eines Mannes ebenso herrlich sanft und weich an.
Nur einen Augenblick später, begleitet vom leisen Rascheln der Seide, schlüpfte Isabelle – die berüchtigtste Diebin von Hongkong – wieder aus dem Haus und verschwand in der Nacht.
2. KAPITEL
D er Herbstball war bereits in vollem Gange, als Isabelle in Mountain Lodge, der Residenz des britischen Gouverneurs in Hongkong, ankam. Das Licht aus dem Ballsaal strahlte aus den großen Fenstern und zeichnete helle Rechtecke auf den gepflegten Rasen. Isabelle stahl sich von Schatten zu Schatten, als sie den Hügel zum Herrenhaus hinaufeilte. Dort angekommen, drückte sie sich an die Außenmauer und zog sorgfältig die Seidenmaske zurecht, die die untere Hälfte ihres Gesichts verbarg. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn man sie so kurz vorm Beenden ihrer Mission noch ertappte.
Sie schlüpfte durch das dunkle Fenster eines Gästezimmers – das, wie sie wusste, unbewohnt war – ins Haus. Das wertvolle Bündel trug sie noch immer in ihrem Arm, als sie leise durch den Raum schlich und die schwere Eichentür öffnete, die auf den Korridor hinausführte. Unerwartet traf ein Lichtstrahl ihr Gesicht. Isabelle kniff erschrocken die Augen zusammen, verfluchte im Stillen ihr Pech und huschte mit leisen Schritten durch den Gang des Gästeflügels, der zu den Gemächern der Familie führte. Sie wollte gerade um eine Ecke biegen, als Stimmen an ihr Ohr drangen, zwar nicht nahe genug, um ihr gefährlich zu werden, dennoch verbarg sie sich eilig in einer Nische und lauschte angestrengt.
„Man behauptet, Lord Henry James sei ein verwegener, unverbesserlicher Schürzenjäger.“ Die dröhnende, tiefe Bassstimme gehörte unverkennbar dem Gouverneur.
„Ja, das Gerücht habe ich auch gehört“, antwortete sein Sohn Arthur lachend. „Aber sein Vater, der gute Duke, hat gedroht, ihn zu enterben, sollte ihm ein weiterer Skandal zu Ohren kommen. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass man Lord James aufgetragen hat, sich
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