Historical Saison Band 20
eine Grimasse. Der Ausdruck im Gesicht des Einbrechers, als er sie küsste, war unmissverständlich gewesen. Er hatte sie begehrt, trotz ihrer ganz und gar unziemlichen Garderobe. Zwar bildete sie sich nicht ein, Expertin auf diesem Gebiet zu sein, gleichwohl war sie sich dessen sicher.
Unwillkürlich wurde ihr ganz heiß. Wie wäre es wohl, sich einem solchen Mann hinzugeben? Deborah wickelte sich in die Bettdecke, obwohl ihr angesichts dieser betörenden Vorstellung die Kälte im Raum nicht einmal bewusst wurde. Sie fuhr mit den Händen über ihren Körper und dachte an die samtige Berührung seiner Lippen. Unter ihren Fingern erblühten die Knospen ihrer Brüste. Dunkelrot glühte das Verlangen hinter ihren Lidern. Sinnliche Begierde durchströmte sie, noch heißer als je zuvor, weil es so verboten war.
Eine skandalöse Sehnsucht, wie bei Bella Donna. Bella Donna … die Heldin der Romane, die zurzeit im ton Anstoß erregten.
Deborah sank in die warme Umhüllung ihres Bettes und ließ ihre Hände über ihr Nachtgewand gleiten, tiefer und tiefer. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, ihr geheimnisvoller Liebhaber wäre bei ihr.
Am nächsten Morgen erwachte sie viel später als gewohnt. Ein Lärm drang an ihr Ohr, als sei die Hölle losgebrochen. Rasch schlüpfte sie in einen warmen Morgenmantel, denn Kinsail Manor war teils aufgrund seines Alters, teils wegen der Sparsamkeit seines momentanen Besitzers ein kaltes Gemäuer.
Aufgrund ihrer geringen finanziellen Mittel konnte sie sich keine Zofe leisten. Obwohl Lady Kinsail ihr angetragen hatte, sich „ihrer eigenen lieben Miss Dorcas“ zu bedienen, hatte sie abgelehnt. Denn diese Angestellte war ein außerordentlich strenges, mürrisches Geschöpf, das die Ansicht vertrat, eine Witwe müsse ihr Haar, von spitzesten Nadeln gehalten, unter einem unvorteilhaften Häubchen verbergen.
Da Deborah den größten Teil ihres Lebens selbst für ihre Toilette zuständig gewesen war, ging sie auch jetzt ohne Umstände daran, ihr langes hellblondes Haar zu frisieren und das schlichte Tageskleid überzustreifen, das sie eigenhändig genäht hatte.
Bei Jeremys Tod hatte ihr Schwarz zu tragen sehr widerstrebt, da es sie praktisch als seine Witwe kennzeichnete. Dennoch hatte sie es noch weitere sechs Monate nach Ablauf des Trauerjahres beibehalten. Nach und nach hatte sie nämlich die Anonymität, die die düstere Farbe gewährte, zu schätzen gelernt. Da erst war ihr bewusst geworden, dass es ihr überhaupt an eigener Persönlichkeit mangelte. So wie die anonyme graue, blaue und braune, weder modische noch völlig unelegante Kleidung, die sie nun trug, fühlte sie sich auch – einfach unbedeutend, irgendwie schemenhaft, verschwommen. Wie ein unfertiges Gemälde …
Heftiges Klopfen an der Tür unterbrach diese ernüchternden Gedanken.
„Bitte, Mylady! Seine Lordschaft bittet Sie schnellstens in den Großen Salon.“ Das Hausmädchen platzte fast von den wichtigen Neuigkeiten, die sie übermitteln durfte. „Wir sind alle dort versammelt“, fuhr sie fort, während sie neben Deborah den engen Gang entlangeilte, der den ältesten – und zugigsten – Flügel des Besitzes mit dem größeren, moderneren Haupthaus verband. „Der Herr will wissen, ob jemand ihn sah oder hörte.“
„Wen hörte?“, fragte Deborah, obwohl sie selbstverständlich wusste, dass nur der Einbrecher gemeint sein konnte.
Natürlich hätte sie Jacob wecken müssen, doch sie konnte diese Verfehlung einfach nicht bedauern. Wenn sie ehrlich war, so gab es da etwas in ihr – ein winziges, boshaftes Etwas, auf das sie nicht stolz zu sein brauchte – das sogar richtig froh war. Oder, wenn nicht froh, so doch gleichgültig. Jacob hatte ihr auch noch das Wenige genommen, das Jeremy ihr gelassen hatte. Welche Schätze ihm nun gestohlen worden waren, interessierte sie nicht die Spur. Und mehr noch, entschied sie spontan, sie würde auch weiterhin schweigen. Sie würde nicht zugeben, dass sie nachts auf dem Besitz umherwanderte, was nur eine seiner Gardinenpredigten zur Folge haben würde.
Sie hatten den Salon erreicht, dessen Türen weit offen standen und einen Blick auf den gesamten versammelten Haushalt gewährten. Am Kopf des Raums stand unter seinem eigenen Porträt der Hausherr persönlich.
„Gehen Sie besser rein, Mylady“, flüsterte das Mädchen. „Wir sind die letzten.“ Hastig gesellte es sich zu den anderen Dienstboten, die sich wie eine Herde Schäfchen um die Haushälterin
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