Hoehepunkte der Antike
„Brudervolk“ der DDR nicht wiedergeben mochte. Seit 1993 bekennt sich St. Petersburg dazu, das Gold aus Troia zu besitzen,
und es hängt unendlich viel Stolz und Verzweif lung daran. Die Kriegsbeute ist eins der schwindenden Zeichen, dass die gescheiterte
Supermacht wenigstens diesen einen Krieg gewann, der sie schuf, ein Ausgleich für zuviel Vernichtetes, Kunstwerke und zahllose
Menschenleben, Opfer des Angreifers … und des Siegers. Das ist viel verlangt von ein wenig Metall.
Mit oder ohne Schatz, der Mythos Troia ist geblieben. Der Ort selbst hat es an sich, seine Erforscher zu begeistern. In der
furiosen Öffentlichkeitsarbeit der internationalen Ausgräber unter Tübinger Ägide seit 1988, die sich in dem und auf den jüngst
verstorbenen Manfred Korfmann konzentrierte, lebt einiges vom Schliemann-Talent fort, Sensationen zu inszenieren oder zu schaffen.
Auch vom berechtigten Stolz auf das physisch Greif bare, das man vor Wissenschaft und Publikum stellen kann.
Ist Troia nicht einer der Geburtsorte der modernen Altertumsforschung und in seiner Auffindung selbst ein Vorzeigekapitel
im „Roman der Archäologie“? Doch es ist viel Sonderbares an der Forscherangelegentlichkeit auf der Suche nach dem „historischen
Kern“, die jede Generation neu befällt und an weltbewegende Funde, den endgültigen Beweis „der Wahrheit“, glauben lässt.
|21| Hethiter in Troia?
Die aufregendsten Erkenntnisse wiederholen in ihrer Weise das Lehrstück der „geschichtslosen“ Stadt, die Schliemann unter
Ilion fand. „Die Antike“ ist keine rein griechisch-römische Veranstaltung. Für Troia, das zur mykenischen Zeit am Rande der
griechischen Sphäre lag und selber eine eindeutig fremde Stadt war, gilt das doppelt – sei es das homerische Troia oder die
ergrabene Stadt. Und so sind Theorien, wonach hethitische Texte die Frühgeschichte des Burgberges auf klären, und Hoffnungen,
sie könnten zugleich einen wahren Kern Homers andeuten, schon Jahrzehnte alt. Sie erhielten frische Nahrung.
Aus der Zitadelle von Troia VII wurde 1995 ein Siegel geborgen, das mit luwischen Schriftzeichen bedeckt war, wie im vielsprachigen
Hethiterreich für solche Zwecke üblich; es gehörte einem Schreiber, wie sie die diplomatische Korrespondenz der Hethiter und
ihrer Vasallenfürsten führten – der Rest der Inschrift ist ein Rätsel. Der glückliche Ausgräber Korfmann erklärte es für bewiesen,
dass man sich in Troia VIIb2 (er datierte die Fundschicht auf etwa 1130 v. Chr.) noch Jahrzehnte über das Ende des Hethiterreiches
gegen 1200 v. Chr. mit dessen Kultur verbunden gefühlt habe. Denn dies was das Problem: Der Fund war zu spät, war von keiner
Spur eines Archivs begleitet und ob er „immer“ in Troia gewesen, geschweige denn offziell gebraucht worden war, verraten die
Umstände nicht.
Die Ausgräber und zahlreiche Hethitologen sahen jedoch die These bestärkt, dass man längst Nachrichten über Troia besitze
– und zumindest Troia VI und VIIa eigentlich in
Wilus(iy)a
umbenennen müsse. Homer gibt Troia nämlich zwei Namen,
Trōiē
und
Ilios
, was im noch älteren Griechisch einmal
Wilios
hieß. Nun findet sich in der hethitischen Überlieferung ein „Land Wilusa“ oder „Wilusiya“, ein kleinerer Staat, der höchstwahrscheinlich
nach seiner Hauptstadt hieß. Der Sprung zu (W)Ilios respektive Troia war nicht weit, auch weil ein Vertrag von etwa 1280 v.
Chr. es in der Nähe der Insel Lesbos einordnet. Derjenige, dem König Muwatalli II. damals Bündnispflichten diktierte, ist
ein Herrscher namens Alaksandu(s) – elektrisiert sah man auf den Frauenräuber der Troia-Sage, Paris, der in der
Ilias
meist „Alexandros“ heißt. So entwarf man das Bild eines luwischsprachigen, hethitisch geprägten und dominierten Handelsreiches,
das (wie die Hethiter selbst) mit der Zeit von |22| den expansiven Mykenern bedrängt wurde, die auf den Inseln vor der Küste Kleinasiens saßen und auf dem Festland Fuß zu fassen
suchten.
Je näher wir das Bild fixieren, desto verschwommener wird es. Das Palastarchiv könnte, wenn vorhanden, über Nacht die Frage
klären, ob Ilion auf den Trümmern von Wilusa steht. Aber die Hügelkuppe ist abgetragen, und in den verbliebenen Teilen von
Troia VI und VII fehlen hethitische Spuren ebenso wie Schriftzeugnisse. Die Sprache von Wilusa ist, von dessen Lage zu schweigen,
ein Rätsel. Luwisch ist für die Troas eine gute Möglichkeit,
Weitere Kostenlose Bücher