Hoehepunkte der Antike
die griechische
Besiedlung Troias beginnen, durch Zuwanderer, die mit der Zeit die dezimierten Überlebenden an Zahl übertroffen hätten. Und
so verhält es sich mit der Stadt, die Homer gegen 750 v. Chr. höchstwahrscheinlich sah, wie mit Schrödingers Katze: Wir müssen
sie uns gleichzeitig lebendig und tot denken. Ob nur noch Steine übrig waren oder das Leben die Stadt nie verlassen hatte,
ob Ilion erst nach Homer oder Homer schon nach Ilion kam – es steht nicht fest.
Sicher ist eins: die Griechen kamen eines Tages. Was genau Homer herführte, ist nur zu vermuten. Sicher kam er nicht zur ,Recherche‘
her. Sänger reisten nicht freiwillig oder aus Neugier von Ort zu Ort. Es gab wohl Kundschaft in der Troas, Fürstenfamilien,
die sich auf den Adel der Heroenzeit zurückführten. Homer kam im Lauf seines Lebens zu freier Zeit und materieller Sicherheit,
sonst hätten wir keine einzige Zeile aus seiner Hand – man schreibt eine
Ilias
nicht in kleinen Bröckchen nach jedem Auftritt. Anders als seine Vorgänger war er gesegnet |19| mit Ansehen und enormem organisatorischem Talent. Und der größte Segen war, genau zur rechten Zeit zu leben, in der die Schrift
in die griechische Welt zurückkehrte. Nur so konnte sich Homer an etwas nie Dagewesenes machen, ein Epos von 16 000 eng ineinander verschränkten Versen. Zweifellos war der Troia-Stoff vom Ei, aus dem Helena kroch, bis zur Heimkehr des
geplagten Odysseus schon Hunderte Male vorgesungen worden, nicht zuletzt von Homer selbst. Doch jetzt wurde er in einen Ausschnitt
des Krieges konzentriert, umgeformt zu etwas überschaubar Großem, aber alle Grenzen Sprengendem.
Niemand weiß, welche berühmten Sänger es vor und neben Homer gab, wer zur gleichen Zeit an welchen Themen den Sprung zum schriftlichen
Epos versuchte. Sein Meisterstück hat alles ausgelöscht. Die Späteren waren gut beraten, sich Stoffe abseits der
Ilias
zu suchen. Es hat ihnen wenig geholfen: nur Fragmente haben überlebt. Einzig die
Odyssee
war ihrerseits so hinreißend, dass es unmöglich war, sie zu übergehen und Homer nicht als ihren Dichter zu sehen. Doch sie
entstand zwanzig, dreißig Jahre nach der längeren
Ilias
, die sicher nicht das Jugendwerk eines Frühreifen war, und entfaltet im vertrauten Kleid der homerischen Kunstsprache eine
ganz andere Welt. Mindestens geistig war ihr Schöpfer ein Verwandter des großen Vorgängers, vielleicht auch wirklich sein
Schüler und Erbe; das Troia der
Ilias
war beinahe schon eine Legende für ihn.
Mythos Troia
War Troia aber eigentlich mehr? War „Troia“, das zehn Jahre belagert wurde, einmal eine tatsächliche Stadt und lag wirklich
auf jenem Hügel, auf dem die guten Bürger von Ilion Besucher empfingen? Hatte Homer die Wahrheit besungen oder „nur“ seine
Wahrheit?
Schliemanns ganzes Finderglück konnte die letztendliche Ratlosigkeit nicht vertreiben. Doch man hörte seitdem wenig von ihr.
Um Schliemanns Troia entwickelte sich ein klug geschürter Medienrummel, in Deutschland und darüber hinaus. Reportagen und
prachtvolle Bildbände verbreiteten die Sensation. Noch schwerer hatten es alle Zweifel gegen das Gold in den Vitrinen; Gold
glänzt hell. Und dieses war zudem mit Nationalgefühl aufpoliert worden. Es war nicht ganz richtig mit dem Erwerb dieses Schatzes,
er war mehr oder weniger aus dem Osmanischen |20| Reich geschmuggelt worden (ein üppiges Bußgeld beschwichtigte den Sultan). Aber er war und glänzte in Berlin, war seit 1881
„dem deutschen Volke zu ewigem Besitze“ vermacht und bewies, dass man eine Kulturnation mit gleich viel Zukunft wie Vergangenheitssinn
sei. Natürlich auch, dass man die besten Archäologen habe und „die anderen“, vor allem Frankreich, längst nicht so schöne
Schätze.
Bis heute hat der „Schatz des Priamos“ etwas an sich, das den Nationalismus hervorlockt und moralische Feinheiten vergessen
lässt. Wäre Schliemanns Geschenk noch komplett in Berlin, zankte man sich mit der Türkei darum wie um den Pergamonaltar. Doch
die kostbarsten Troia-Funde wanderten im Zweiten Weltkrieg an den sichersten Platz, der in Berlin zu haben war, den titanischen
Flakturm am Zoo (die beengten Berliner hätten die gesammelten Kunstschätze am liebsten hinausgeworfen), dann – nach dem Untergang
einer weiteren Stadt – in aller Stille nach Leningrad. Aber nur Museumskustoden freuten sich heimlich an den Stücken, die
man dem
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