Höllenengel
keinem Sommerhaus gewesen.
Was ich gesagt habe, war nur meine Vermutung. Ich habe niemanden
umgebracht.«
»Ist Randver etwa wieder lebendig? Ich habe gesehen, wie du
ihn erschossen hast.«
»Das war keine Absicht«, sagte Edda bedacht.
»Unfälle können immer vorkommen. Der Schuss
löste sich aus der Pistole, als das Mädchen, das neben
dir sitzt, mich zuerst angriff. Ich wollte dem Mann keinen Schaden
zufügen.«
»Was meinst du, wer dir das glaubt?«
»Ich mache mir darüber keine Gedanken, ob mir jemand
etwas glaubt oder nicht. Ich weiß, dass die Wahrheit
normalerweise so unglaublich ist, dass die Menschen lieber die
Lüge glauben. Ich könnte euch eine wahre Geschichte
erzählen, die so unwahrscheinlich ist, dass ihr sie nicht
glauben würdet. Was keine Rolle spielt. Die Geschichte ist
gleich wahr, ob sie jemand glaubt oder nicht.«
»Welche Geschichte ist das?«
»Meine Pistole heißt Walther PPK, 7,65 Millimeter
Kaliber, hergestellt von Carl Walther GmbH Sportwaffen in
Deutschland im Jahr 1931. PPK ist eine Abkürzung für
Polizeipistole Kriminalmodell. Alle Beamten der Nationalsozialisten
von Hitler abwärts trugen Pistolen dieser Art. Am 30. April
1945 beging Adolf Hitler mit dieser Pistole Selbstmord, als das
russische Militär nur noch etwa fünfhundert Meter bis
zum Führerbunker brauchte wie
sagt man das auf Isländisch?«
»Unterirdischer Schutzraum des Anführers, erzähl
unbedingt weiter«, sagte Terje spöttisch.
»Martin Bormann gab meinem Schwiegervater diese Waffe zum
Dank dafür, dass er ihm half, nach dem Krieg aus dem Land zu
fliehen.«
»Wer war dein Schwiegervater?«
»Er lebt immer noch und heißt Rudolph Joseph Maximilian
Friedrich Leopold de Plantagenet Anjou, Herzog von
Staufen-Hohenzollern, Prinz von Habsburg, de jure das
heißt per Gesetz Josef II., Kaiser des Heiligen
Römischen Reiches Deutscher Nation.«
»Erwartest du, dass dir das jemand glaubt?«, fragte
Terje. »Es spielt keine Rolle, ob mir jemand glaubt oder
nicht«, sagte Edda. »Es ist einfach zu beweisen. Rudi,
wie mein Schwiegervater genannt wird, war gemeinsam mit Otto
Skorzeny einer der Initiatoren der >Spinne<, die etlichen
hochrangigen Deutschen nach dem Krieg aus dem Land half. Ein
anderer Name für >Die Spinne<, den mehr Menschen kennen
dürften, ist O. D. E. S. S. A. oder Organisation der
ehemaligen SS-Angehörigen. Rudi ist inzwischen achtundachtzig
Jahre alt und lebt in Göppingen. Er war Adjutant bei Otto
Skorzeny und hat Hitler oft getroffen. Er ist kein Nazi, aber er
glaubt daran, dass es die historische Aufgabe der Hohenstaufen ist,
ein vereinigtes europäisches Reich zu lenken, das Vierte
Reich. Sein einziger Sohn, mein Mann August, hatte daran kein
Interesse. Um der Fuchtel dieses strengen Vaters zu entkommen,
beschlossen August und ich, nach Island auszuwandern und unser
Leben in der unverdorbenen Natur zu verbringen, mit den Pferden,
die Reittiere der Götter sind.
Das ist vielleicht schon eine unglaubliche Geschichte, aber ich
selbst finde das, was danach kommen sollte, noch viel
unglaublicher. Mein Mann brach sich die Hüfte, als er
versuchte, ein wildes Pferd einzureiten. Viele Monate war er ans
Bett gefesselt und bekam starke Medikamente gegen seine Schmerzen
und Beschwerden. Danach konnte er nicht mehr ohne Tabletten leben.
Er, der seinem Vater und dessen irrsinnigen
Großmachtphantasien entkommen war und die Freiheit gefunden
hatte, war unfreier als je zuvor geworden. Den Medikamenten konnte
er nicht entfliehen und deswegen nahm er sich das Leben, weil er
nicht weiter in dieser Knechtschaft leben wollte.
Wir haben zwei Kinder bekommen, Bryndís und Karl Viktor,
schöne, liebe, ganz normale isländische Kinder, die ganz
nah an der Natur aufwuchsen. Dann mussten sie beide den Hof
verlassen, um auf die weiterführende Schule zu gehen. Wie
allen Jugendlichen wurde ihnen die Frage gestellt, ob sie Drogen
probieren wollten. Beide hatten ein gutes Selbstvertrauen und
dachten, ihnen drohe keine Gefahr. Karl Viktor entschwebte in
irgendeine Parallelwirklichkeit und kam nie wieder daraus
zurück.
Bryndís starb diesen Winter. Sie wurde sechsundzwanzig Jahre
alt.
Diese Geschichte finde ich viel unglaublicher als die erste. Beide
sind sie gleich wahr. Ihr glaubt das, was ich sage, vielleicht
nicht, andererseits seid ihr aber bereit, etwas zu glauben, was
tausendmal unglaublicher ist als alles, was ich erzählen
kann.«
»Was könnte unglaublicher sein als das?«,
Weitere Kostenlose Bücher