Höllenherz / Roman
hörbar alarmiert und hielten geschlossen den Atem an, als Mavritte mit einem Stilett in der Hand aufsprang. Die lange dünne Klinge blitzte im Laternenlicht.
»Messer!«, schrie Talia und stürmte nach vorn.
Mina packte ihren Arm. »Nein!«
»Du hast gesagt, keine Waffen!« Dass Talia ihre Waffe bei sich trug, tat nichts zur Sache.
Ihr ging die perfide Logik dieser Veranstaltung auf. Wenn Lor starb, brauchte das Rudel einen neuen Alpha, und Mavritte war der zweitstärkste Hund, ob sie fair kämpfte oder nicht.
Minas eiserner Griff wurde noch fester. »Lass sie das regeln!«
Mavritte packte Lor, klammerte sich an ihn und rammte ihm das Messer in den Rücken.
Talia schrie.
Lor verschwand.
Verwirrt stolperte Mavritte ein Stück zurück.
Was hatte Lor getan?
Die Sekunden zogen sich endlos hin, bis die Hunde alle aufgeregt zu rufen begannen.
»Er kann es nicht so lange!«, rief Mina, die an Talias Ärmel zog.
»Was?« Tränen verschleierten Talia die Sicht.
»Zwischen Mensch und Hund schweben!«
Talia überlegte. Es gab diesen Sekundenbruchteil zwischen beiden Gestalten, in dem Hunde wie eine schwarze Staubwolke aussahen. Was passierte, wenn er zu lange in diesem Stadium verharrte? Kam er jemals wieder zurück?
O Gott, Lor …
Aber der Hund plumpste aus der Luft direkt auf Mavritte, die von seinem Gewicht ins Gras gedrückt wurde. Er packte ihre Kehle mit seinem Maul und legte eine große Pfote auf das Messer.
Alle Hunde schrien erstaunt auf. Anscheinend stellte dieses Verschwinden eine eindrucksvolle Leistung und einen weiteren Beweis für Lors überlegene Kräfte dar, doch Talia konzentrierte sich auf das, was als Nächstes kam. Auf den Teil mit dem Kehlbiss.
Wird er das tun?
Talia wollte nicht hinsehen und musste es unbedingt.
»Er kann nicht!«, zischte Mina. »Nein, der Kampf ist vorbei! Er soll es beenden.«
Es gab keinen Kehlbiss. Ein Schluchzer der Enttäuschung und Erleichterung entfuhr Talia.
Lor war wieder in menschlicher Gestalt. Er hielt das Messer in der Hand und stand direkt im Lichtkegel einer Straßenlaterne, so dass er sich dunkel vom weißen Schnee abhob. »Mavritte von den Redbones, du hast gegen die Gesetze verstoßen, die bei einem Dominanzkampf gelten«, sagte er tödlich ruhig.
Mavritte rappelte sich auf und ging auf Abstand zu ihm, doch die Menge rückte dichter zusammen, so dass sie nicht fliehen konnte, wie sie es offenbar vorgehabt hatte.
»Töte mich!«, fauchte sie. »Wenn du denkst, du hast gewonnen, beende es!«
Lor verzog nach wie vor keine Miene, und irgendwie war das schlimmer, als hätte er sie angebrüllt. »Du hast das Recht verwirkt, mich zu fordern, Mavritte. Deine Leute und dein Eigentum gehören nun dem Alpha des Lurcher-Rudels: mir.«
Sie fiel auf die Knie. »Wirst du meine Leute beschützen?«
»Sie sind jetzt meine Leute, und die beschütze ich.«
Deshalb hat sie das getan! Sie wusste, was passieren würde, wenn sie schummelte. Sie hat sich für ihre Hunde geopfert.
Talias Haut kribbelte vor Schreck. Solche Selbstlosigkeit hätte sie Mavritte gar nicht zugetraut. »Muss sie sich ihm jetzt ausliefern?«
»Nur wenn Lor es verlangt.«
Also muss er sie nicht töten.
Talia dachte nach. Dieses Spiel erschien ihr verdächtig günstig für beide ausgegangen zu sein. Lor verlor nichts, und Mavritte bekam, was sie wollte. Sie hatte den besten Alpha als Beschützer für ihre Hunde, auch wenn es sie ihren Stolz und den Rang unter ihren eigenen Leuten kostete.
Für einen Moment empfand Talia echten Respekt vor der Hündin, was jedoch schnell wieder verging.
»Nimmst du dir eine Partnerin?«, fragte Mavritte laut und deutlich.
Alle verstummten. Es wurde so still, dass Talia das Surren der Leuchtröhren in den Straßenlaternen hörte. Lor zögerte, drehte das Messer in seiner Hand, und Talia erstarrte, als er zu ihr sah.
»Ich nehme die Partnerin meiner Wahl.«
Ihr wurde mulmig, als sämtliche Hunde mit unverhohlener Abneigung zu ihr blickten. Sie stand zwischen ihnen und ihrer Zukunft. Blieb Lor bei ihr, gäbe es keine Jungen. Höllenhundseelen konnten nicht wiedergeboren werden. Seelenverwandte fanden einander nicht. Das Leben des Rudels würde sich nicht fortsetzen.
Die Blicke der anderen verrieten überdeutlich, dass sie mit ihrem Leithund nichts zu schaffen hatte. Sie war ja nicht einmal richtig lebendig.
Lor konnte nicht lügen. Seine Wahl war klar: Er wollte sie.
Aber sie war nicht, was die Hunde brauchten oder als Partnerin für ihren Alpha
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