Und dann kam Paulette (German Edition)
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1
Der Vorfall mit dem Gas
Den Bauch hat er ans Lenkrad gepresst, die Nase klebt an der Windschutzscheibe, Ferdinand ist ganz auf die Straße konzentriert. Der Tachozeiger hat sich auf fünfzig eingependelt, das ideale Tempo. So spart er nicht nur Benzin, sondern hat auch genug Zeit, die Landschaft vorbeiziehen zu sehen, das Panorama zu genießen. Und vor allem beim geringsten Anzeichen von Gefahr anzuhalten, ohne einen Unfall zu riskieren.
In dem Moment läuft vor ihm ein Hund auf die Straße. Reflexhaft tritt er auf die Bremse. Reifen quietschen, Splitt fliegt durch die Luft, die Stoßdämpfer knirschen. Der Wagen schlittert, kommt schließlich zum Stehen.
Ferdinand lehnt sich aus der Tür.
«Wo willst du denn hin, mein Guter?»
Der Hund macht einen Satz, spurtet dann am Auto vorbei und legt sich weiter vorn am Straßenrand der Länge nach ins Gras. Ferdinand klettert aus dem Wagen.
«Du gehörst doch meiner Nachbarin. Was treibst du denn hier so ganz allein?»
Er geht auf den Hund zu, streckt vorsichtig die Hand aus, streichelt ihm den Kopf. Der Hund zittert.
Nach einem kurzen Moment wird er so zutraulich, dass er bereit ist mitzukommen.
Ferdinand lässt ihn hinten ins Auto einsteigen und fährt wieder los.
Als er zu einem kleinen Weg kommt, öffnet er die Tür. Der Hund springt heraus, drückt sich jedoch an Ferdinands Beine und wimmert, als hätte er Angst. Ferdinand macht das Holztürchen auf, lockt ihn nach drinnen, doch der Hund weicht ihm nicht von der Seite, hört nicht auf zu winseln. Ferdinand geht zwischen den buschigen Hecken hindurch und gelangt schließlich zu einem kleinen Haus. Die Tür steht einen Spaltbreit offen. Hallo? Jemand da?, ruft er. Keine Antwort. Er sieht sich um, kein Mensch zu sehen. Er stößt die Tür auf. Ganz hinten im Halbdunkel kann er eine Gestalt erkennen, sie liegt auf dem Bett. Er ruft, keine Reaktion. Er schnuppert, Gott, wie es hier stinkt. Er schnuppert noch einmal. Oh, oh, es riecht nach Gas! Er rennt zum Herd, dreht die Gasflasche zu, tritt ans Bett. Madame, Madame! Mit flacher Hand bearbeitet er die Wangen der Frau, zurückhaltend zunächst, doch als sie nicht reagiert, immer heftiger. Der Hund kläfft und springt um das Bett herum. Ferdinand verliert ebenfalls die Fassung, geht zu Ohrfeigen über, schreit sie an, dass sie aufwachen soll. Sein Rufen vermischt sich mit dem Gebell des Hundes. Madame Marceline! Wuff! Wuff! Machen Sie die Augen auf, um Gottes wuff! Wachen Sie auf, ich flehe Sie an, wuff, wuff!
Schließlich gibt sie ein leises Stöhnen von sich.
Ferdinand und der Hund seufzen erleichtert auf.
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2
Fünf Minuten später geht’s ihr schon besser
Marceline hat wieder Farbe im Gesicht und besteht darauf, ihm etwas anzubieten. Schließlich bekommt sie nicht jeden Tag Besuch. Ferdinand und sie sind zwar Nachbarn, aber er ist zum ersten Mal bei ihr zu Hause. Das muss gefeiert werden. Da mag Ferdinand noch so oft sagen, dass er keinen Durst hat, dass er nur den Hund nach Hause bringen wollte, sie steht trotzdem auf und wankt zum Geschirrschrank, holt eine Flasche Pflaumenwein heraus und möchte seine Meinung dazu hören. Immerhin hat sie den Wein zum ersten Mal selbst gemacht. Sie sagen mir ehrlich, was Sie davon halten? Er nickt. Sie schenkt ihm ein, hält plötzlich inne, fragt besorgt, ob er noch fahren muss. Er sei auf dem Weg nach Hause, antwortet er. Von hier sind es nur fünfhundert Meter, die kann er notfalls zu Fuß zurücklegen. Beruhigt schenkt sie weiter ein. Kaum hat er das Glas mit den Lippen berührt, wird ihr schwindlig. Sie sackt auf einen Stuhl und stützt den Kopf in beide Hände. Ferdinand fühlt sich nicht wohl in seiner Haut, starrt unentwegt auf die Wachstuchdecke, fährt mit dem Glas die Linien und Quadrate entlang. Er wagt nicht zu trinken und schon gar nicht zu sprechen. Nach einer Weile fragt er fast flüsternd, ob er sie ins Krankenhaus fahren soll.
«Warum?»
«Damit Sie sich untersuchen lassen.»
«Aber ich habe doch nur Kopfschmerzen.»
«Na ja, ich meine nur, wegen dem Gas.»
«Ja …»
«Das ist nicht gut.»
«Nein.»
«Wegen möglicher Begleiterscheinungen.»
«Ja?»
«Es könnte sein, dass Sie sich übergeben müssen.»
«Ach so. Das wusste ich nicht.»
Wieder folgt langes Schweigen. Sie hält die Augen geschlossen. Er nutzt die Situation, um sich ein bisschen umzuschauen. Das Zimmer ist klein, dunkel und unglaublich vollgestellt. Was ihn sogleich daran
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